32. Auf nach Arkadien!

Arkadienweg: Schloss Fantaisie – Salamandertal – Oberwaiz
Arkadienweg: Schloss Fantaisie – Salamandertal – Oberwaiz

Arkadienweg: Schloss Fantaisie – Salamandertal – Oberwaiz


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Den kompletten Verlauf des Jean-Paul-Wegs finden Sie hier: Literaturportal Bayern

Weitere Informationen über Jean Paul und Bayreuth: Literaturportal Bayern – Dichterwege. Auf den Spuren von Jean Paul

Arkadien pur!

Es ist Sonntag, der 15. Oktober 2017.

Ja, erst vier Jahre später konnten wir diese Etappe erwandern. Aber wir haben das Gefühl, die Wanderung nie unter­brochen zu haben. Im Gegenteil, es ist der gleiche goldene Herbst wie im Jahr 2012. Und heute ist ein wahrhaft arkadischer Tag. Die Sonne verschüttet ihr Gold, ohne nachzuschauen, wie viel noch da ist. Es wird warm werden, über 25 Grad, heißt es. 

 

Wir freuen uns so. Wir fahren von Ronneburg nach Bayreuth und genießen erneut die Aussicht vom Bindlacher Berg auf das Städtchen im güldenen Tal. Während der Fahrt erhasche ich aus dem Autofenster zwar nur ein flüchtiges Bild, das aber auf seine Weise doch eine Verheißung erahnen lässt. 

Dann, noch vorbei am Gut Geigenreuth, und wir erreichen wieder den wunder­schönen Talweg zum Schloss Fantasie. Leider müssen wir den Spazierweg mit dem Auto zurück­legen, denn Peter wird später noch viel laufen müssen: durch den Schlosspark und durch das Salamandertal. Deshalb fahren wir so viel Strecke wie mög­lich, wir müssen ja Fotos machen, wenigstens. Und es wird schlimm. Wir be­fürch­teten es schon: Wir stören mit dem Auto, heute sind wirklich alle unter­wegs. Ob zu Fuß oder mit Rad, oder mit Rollern, oder Skatern, oder mit Hund und Kind und Kegel. Wir fahren ganz langsam, warten immer wieder. Aber die Menschen sind nicht verärgert, sie winken uns lachend zu, und wir winken lachend zurück. 

»Was ist denn heute los?«, frage ich Peter.

Noch bevor wir den Schlosspark betreten und das Schloss sehen können, finden wir unten im Tal die Groß- und Sonderstation 133 »Jean Paul und die Fantaisie (1)«, nahe des Sportplatzes des TSV Donndorf-Eckersdorf.

Schloss Fantaisie – südliche Seite
Schloss Fantaisie – südliche Seite

Jean Paul und die Fantaisie (1)

Die Schloss-Besitzer

 

758 Beginn des Schlossbaues unter Markgraf Friedrich und Markgräfin Wilhelmine

(Pläne von Architekt Carl Philipp Christian von Gontard, nach Vorbild der floren­tinischen Villa Doria Pamphilj auf Grund der Italienreise des Markgrafenpaares)

1763 Herzogin Elisabeth Friederike Sophie von Württemberg (sie galt als die schönste aller deutschen Prinzessinnen), Tochter der Markgräfin Wilhelmine, übernimmt den Besitz von von Markgraf Friedrich Christian. (Sie war mit dem despotischen Herzog Karl Eugen von Württemberg verheiratet, jener Herzog, vor dem Schiller fliehen musste. Auch die grauenvolle Hinrichtung des Joseph Süß Oppenheimer/Jud Süß fand kurz vor dem Regierungsantritt des Herzogs statt.)

1765 Die Herzogin zieht in das fertig gebaute Schloss ein, in dem sie bis 1780 lebt.

1780‒791 Markgraf Alexander von Ansbach

1791‒1793 Preußischer Staat (Verwalter ist der Oberforstmeister T. F. von Obernitz)

1793‒1795 Herzogin Friederike Dorothee Sophie und Herzog Friedrich Eugen von Württemberg

1795‒1833 Herzog Alexander I. von Württemberg

1833‒1881 Herzog Alexander II. von Württemberg

1882‒1895 Konsortium Feustel, Schwabacher, Eysser

1895‒1897 Ernst Hüttenrott, preußischer Forstassessor

1898‒1908 Martin de Cuvry, Oberleutnant aus Bonn

1908‒1928 Familie Schmidt-Oertel

1929‒1937 Fürst Edmund von Wrede

1937‒1945 Nationalsozialistischer Lehrerbund

1945‒1948 US-Regierung (Sanatorium der US-Armee)

1948‒1961 Bayerisches Rotes Kreuz (Lungenheilanstalt)

seit 1961 Freistaat Bayern (mehrfach untervermietet an Firmen und andere Nutzer)

 

2000 Eröffnung des ersten deutschen Gartenkunstmuseums durch die Bayerische Schlösserverwaltung

Mehr unter schloss-fantaisie.de oder gartenkunst-museum.de  

Schlosspark Fantaisie – Talweg
Schlosspark Fantaisie – Talweg

Weiter geht es vorbei an mehreren kleinen Teichen, die vom Talmühlbach gespeist werden, sodann auch der Herzog- oder Talmühlweiher, zu dem wir gleich gelangen, und von dem aus man eine herrliche Sicht auf das, auf der Anhöhe gelegene, Schloss Fantasie hat.

Schloss Fantaisie – südliche Talansicht
Schloss Fantaisie – südliche Talansicht

Auf dem Weiher wohnt seit Jahren ein schwarzes Trauerschwan-Paar. Wir haben schon einige ihrer Küken aufwachsen sehen. Wie viele Großeltern mögen da schon mit ihren Enkeln hierher spaziert sein, um das putzige Schauspiel zu betrachten und die Schwäne und Entchen aller Art zu füttern? Immer, wenn wir da waren, gab es am Ufer ein kleines Spektakel.

Einmal waren wir 2011, just am 21. März, das ist Jean Pauls Geburtstag, im Schlosspark. Da lebte Fidel noch. Auf der großen Wiese über dem Weiher fanden wir eine vermutlich verloren gegangene rote Frisbeescheibe. Ich dachte, probier doch mal, ob Fidel so ein Spielzeug interessieren könnte. Und ob! Peter und ich waren völlig überrascht, weil ansonsten nur gelbe Tennisbälle für Fidel als Spielobjekt infrage kamen. Fidel war in seinem nun rotfliegenden Pudel­glück, und auch unser Glück wollte kein Ende nehmen.

Wozu ist ein Hund nütze? Das fragte einer unserer besten Freunde, des­sen Töchter sich bei einer Haustieranschaffung in Form eines Hundes schluss­endlich durchsetzten. Die Frage stellte er noch lange, vor allem, als der neue Haus­genosse sich gerne mal auf dem Teppich übergab oder nächtens ver­bote­ner­weise, deshalb heimlich, nicht ohne Spuren zu hinterlassen, im Wohn­zimmer auf dem Sofa schlief, anstatt in seinem Korb unter Treppe. 

 

Ich stelle mir diese Frage auch, nur etwas anders. Woher kommen sie ei­gent­lich, diese Tiere, diese Aliens? Warum nur, suchen sie unsere Welt? Mir scheint, als ob sie uns irgendwie abholen wollten, uns einladen wollten, uns mitnehmen wollten. Kommt mit! – stupsen sie uns mit ihren Nasen an. Ja, wo­hin denn? Wohin denn nur? Was ist denn da, wo wir hinsollen?

Der geheime Schlüssel

Tiere sind nicht da, um uns nütze zu sein, wie wir es uns gerne einbilden, sondern sie verfolgen eine uns noch unbekannte Aufgabe. Der Sinn ihrer Existenz ist vielleicht, uns in ihre Welt mitzunehmen. Und ihre Welt ist so dumm gar nicht! Überhaupt nicht schlechter, unbequemer, unfreier als unsere. Ich habe die Ahnung, sie besitzen einen geheimen Schlüssel zu einer gar besseren Welt: zu einer immerwährenden Welt.

Jean Paul und die Fantaisie

 

Die Fantaisie ist einer der wenigen konkreten Bayreuther Orte, die in Jean Pauls Werk namentlich genannt werden. Allein daraus ersieht man, welche Bedeutung der markgräfliche Lust- und Sommerort, das »Rosen- und Blütental«, der »erste Himmel um Bayreuth«, für den Dichter und Menschen einnahm. Im Roman  »Siebenkäs« spielen zwei wichtige Szenen an diesem Ort. Freilich kannte der Dich­ter ihn noch nicht, als er ihn zum Handlungsort seines Romans machte. Im April 1796 schrieb er an seinen Bayreuther Freund Christian Otto:

»Die Szene mit Natalie in der Fantaisie liegt wie eine sanfte Mondnacht vor mir, und ich freue mich, wenn ich einmal in Bayreuth die Stätten besuchen werde; ich hätte in meinen anderen Büchern nur auch mehr meinem Gefühle, das mir solche Szenen vergeblich rein vorhielt, mehr folgen sollen als der Sucht, ein Mosaik von böhmischen Steinen zusammenzulegen.«

 

Nachdem er den Park kennengelernt hatte, wurde er mit seinen Hecken-Labyrinthen, Grottennischen und Sandsteinfelsen für den leidenschaftlichen Spaziergänger Jean Paul zu einem gern besuchten, romantischen Sehnsuchtsort. Er war – über die Chaussee von Bayreuth nach Fantaisie – noch zu Fuß erreichbar. Diese Straße, schrieb J. C. Ernst von Reiche im Jahr 1795, »ist schön gepflastert, fast überall mit schattenreichen Alleen besetzet, und selbst der Wandelnde hat zu beiden Seiten bequeme Gehwege.«

 

Hier besuchte er zu Beginn seiner Bayreuther Zeit die Großfürstin Konstantin und hier lernte er den Prinzen Alexander I. von Württemberg kennen, der ihm noch zu Lebzeiten (1820) einen Ehrenstein setzte.

So viele Menschen sind heute im Park. Das habe ich in den letzten 25 Jahren noch nie so erlebt. Man sitzt auf den schönen alten Steinbänken, läuft Händ­chen haltend durch die Laubengänge, spielt Boule auf dem Platz zwi­schen den Obstquartieren, trifft alte Freunde völlig überraschend, bleibt stehen und hält ein Schwätzchen, wundert sich über die »Rasenspirale« vor dem Neptunbrunnen, öffnet fröhlich ein Piccolöchen, Japaner foto­grafieren unermüdlich – dabei immer freundlich lächelnd – die wieder­aufgebauten Kaskaden mit Neptun, Nixen, Rössern und Delphinen, eine Mutter knipst stolz ihr vor Glück quieksendes Kind, das das so schön raschelnde Herbstlaub hochwirft, andere lesen die unlesbar gewordenen Aufschriften auf den leeren Grüften, und ein junges »Mountainbike-Pärchen« versucht vergebens die krumm getretenen Steinstufen hoch zu radeln. 

Vom Wandeln und Verwandeln

Schon mein ganzes Leben lang habe ich Schlösser und ihre Parkanlagen geliebt. In meiner Jugend war das eine eher uncoole Leidenschaft, war doch alles auf Protest gepolt. Schlösser? Das hat doch was mit »Feudalismus« zu tun! Das ging damals gar nicht. Aber ich besuchte sie nun mal so gerne. Wenn der Tag grau war, oder gerade in den allerschwärzesten Zeiten, dann hat ein Spaziergang durch einen Schlosspark oder eine Führung durch ein Schloss mich immer wieder aufgerichtet. 

 

Warum ist das so? Oft denke ich mir, es ist die Ordnung, nein, mehr die Geordnetheit, die Geborgenheit, und doch die Verspieltheit, die spürbare Liebe zu allen Details, das gelungene Zusammenwirken aller Künste, der Webereien, der Stuckateure, der Schreiner, der Maler, der Gärtner, der Architekten, die vie­len Schnörkel, das allgegenwärtige Sprudeln, nicht nur von Wasser, sondern auch von Heiterkeit, die über allem schwebende Andacht und Feierlichkeit. Das Wandeln in all dieser Erhabenheit verwandelt meine Seele.

 

Auch mein Vater liebte Schlösser. Vor allem das kleine Schloss Linderhof des Bayernkönigs Ludwig II. Darin hätte Papa selbst gerne gewohnt. 

»Hilde, das wär’ genau passend für mich. Das ist so klein, dass es fast wie ein Häuschen ist, aber es ist doch ein Schloss. Edel und voller Glanz. Und! Es ist immer und überall warm, weil man es beheizen kann«, sagte er, als wir tatsächlich einmal Linderhof besuchten.

»Im nächsten Leben Papa, ganz bestimmt, da wohnen wir in so einem Schlösschen, das wär’ schön, was?«

Die Phantasie (im Kopf)

 

Wie aber nun ist vom Erzieher der tragischen Übermacht der geisterrufenden Phan­tasie zu wehren? […] Dadurch, daß man die Phantasie selber gegen die Phantasie bewaffnet und den Geistern den Geist gegenüberstellt, dem Teufel Gott und Recht.

 

Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«

 

 

Phantasie in einer Fürstin gebiert häufig fürstliche Phantasien – und Sturmlaufen gegen den Himmel – und allerlei vulkanische Produkte – und Verkalkungen der Schatzkammer – und Verflüchtigen der Kron-Juwelen und sonst manches, was ich weiß. Kann eine phantastische Frau das Landes-Grün in Wiesen und Wälder zu­sammengezogen und verdichtet an einem Ringfinger tragen in Gestalt des größten Smaragds? Sie tuts, Pomponne, bei Gott!

 

Ich bäte mir daher lieber gesunden Menschenverstand dafür aus, wenn ich keinen hätte. Freilich, glänzen kann man wenig mit ihm; aber desto mehr ausrichten. Letztes weiß ich gewiß; manche Fürstin, welche unter der Regierung ihres Gatten bloß eine verständige, liebende Mutter und Gattin bescheiden dagestanden war, konnte nach seinem Tode […] den Landesvater ersetzen durch die Landesmutter und mit klarem Auge und lehrbegierigem Ohre die Fahrt des Landes richtig steuern. Phantasie und Phantasien sind auf dem Throne, um welchen wie um andere Höhen mehr Winde wehen als hinter dem Staatsschiffe, nur aufgespannte Segel im Sturm, in welchem sie gerade der Schiffer oder der Verstand einzuziehen hat.

 

Jean Paul »Levana oder Erziehlehre«

 

 

Übrigens treibt die Phantasie in keiner Seelenbewegung – nicht einmal in der Lie­be – ihre Schaff- und Herrschaft so weit als in der Furcht.

 

Jean Paul »Levana oder Erziehlehre«

Schloss Fantaisie am Sonntag, den 15. Oktober 2017
Schloss Fantaisie am Sonntag, den 15. Oktober 2017

Folgt man weiter den Jean-Paul-Wegzeichen, gelangt man vom Talweg im Park Fantasie zum Parkausgang Richtung Salamandertal. Hier wartet die Groß- und Sonderstation 134 »Jean Paul und die Fantaisie (2)«:

Die Fantaisie - poetisch verklärt

 

Er übernachtete daher in Fantaisie,

einem artistischen Lust-, Rosen- und Blütental, eine halbe Meile von Baireuth.

 

Heb alles auf, bis wir im warmen Schoß Abrahams sitzen, in der Eremitage,

welches nach Fantaisie der zweite Himmel um Bayreuth ist,

denn Fantaisie ist der erste,

und die ganze Gegend der dritte.

 

Jean Paul »Siebenkäs«

 

 

Um 12 Uhr sank ich in Fantaisie bei Baireuth zum Essen nieder.

Blühendes, tönendes, schattendes Tal! –

Wiege der Frühlingsträume! Geisterinsel des Mondlichts!

Und deine Eltern, die Berge, die in dich hereinblicken, sind so reizend wie ihr Kind im Kranz.

Fort von der Lust zu der Lust!

 

Jean Paul »Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch«

 

 

»Da geht er nach der Fantaisie, legt sich unter den Schatten eines großen Baumes,

läßt sich kalten Braten und Butterbrot geben und fängt dann an zu schreiben.

Abends geht er zurück.«

Friedrich Meier über Jean Paul (1809)

 

»Unter den hiesigen Sehenswürdigkeiten rühmte er mir vorzüglich die Fantaisie und die Eremitage.«

Karl Bursy (1816)

Herzog- oder Talmühlweiher mit Badehaus im Schlosspark Fantaisie _ an ihm führt der Talweg entlang
Herzog- oder Talmühlweiher mit Badehaus im Schlosspark Fantaisie – an ihm führt der Talweg entlang
Auf dem Talweg im Schlosspark Fantaisie Groß- und Sonderstation 134 »Jean Paul und die Fantaisie (2)«
Auf dem Talweg im Schlosspark Fantaisie Groß- und Sonderstation 134 »Jean Paul und die Fantaisie (2)«

Als Jean Paul die Fantaisie besuchte, wohnte sozusagen gerade Herzog Alexander I. von Württemberg im Schloss. Er lud Jean Paul gerne zu sich ein, und Jean Paul liebte es zu kommen. Wer genau dieser Herzog Alexander I. war, erklärt uns jetzt die Groß- und Sonderstation 134 am Talweg des Parks:

Verwandt mit höchstem Adel

 

Alexander I. (1771‒1833) war der Sohn des späteren Herzogs Friedrich Eugen von Württemberg, der 1793 bis 1795 als Generalgouverneur von Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth im Neuen Schloss zu Bayreuth lebte. Über seine Mutter Friederike Dorothee Sophie von Brandenburg-Schwedt, die den Park Fantaisie sentimental ausgebaut hatte, war er mit dem preußischen Königshaus verwandt. Alexander war also der Großneffe Friedrichs des II. und Wilhelmine von Bayreuth, von deren Tochter Herzogin Elisabeth Friederike Sophie von Württemberg das Schloss einst fertiggestellt worden war.

 

Der Herr der Fantaisie war mit den höchsten Adelskreisen seiner Zeit verwandt: Seine Schwester Sophie Dorothee war russische Zarin, ihre Kinder Alexander I. und Nikolaus I. wurden Zaren. Alexander war also der Onkel zweier russischer Herrscher. Sein Bruder Friedrich war König von Württemberg, aber noch die heutigen Chefs des Hauses Württemberg stammen aus der »herzoglichen Linie«, die von Herzog Alexander begründet wurde. Er selbst war – über seine Gemahlin Antoinette von Sachsen-Coburg-Saalfeld – auch mit dem Hause Coburg-Gotha verbunden, damit auch direkt mit dem belgischen König Leopold I. und der britischen Königin Viktoria.

 

Alexander ging als russischer Beamter und General in die Geschichte ein. 1799 trat er in die russische Armee ein. Nachdem er 1811 zum Gouverneur von Weißrussland ernannt worden war, kämpfte er 1812/13 als russischer General gegen Napoleon. Nach dem Krieg leitete er, wieder als Gouverneur von Weißrussland, seit 1822 das russische Verkehrsministerium.

 

Er starb 1833 in Gotha und wurde auch dort beerdigt. 

Gedenkstein für Jean Paul

 

Nachdem Friederike Dorothee Sophie 1795 zum Regierungsantritt ihres Mannes Friedrich Eugen an den Stuttgarter Hof zurückgekehrt war, nutzte ihr Sohn Alexander I. von Württemberg Schloss und Park Fantaisie als Sommersitz.

Die Anlage wurde vernachlässigt, da der Herzog seit 1806 in russischen Diensten an den napoleonischen Kriegen aktiv teilnahm. Nach Ende dieser welthistorischen Auseinandersetzungen konnte er sich wieder intensiver um die Fantaisie kümmern.

 

1819 lernte er hier Jean Paul kennen und schätzen. Jean Paul schrieb einige Zeit später: »Der Herzog Alexander aus Russland (er war General in russischen Diensten gewesen) […] gibt mir in hiesiger Fantaisie fast tägliche Stelldichein der Liebe, sogar eine Lobschrift auf mich ließ er in einen dortigen Felsen hauen, für mich eine aufrichtige Grabplatte.«

 

Dies war nicht die erste Begegnung Jean Pauls mit dem Hochadel in der Fantaisie. Schon zu Beginn seiner Bayreuther Zeit pflegte er den Kontakt mit der »schönen kindlich-kräftigen Großfürstin« Konstantin und ihrer Hofdame Charlotte von Schlammersdorf.

 

Der Jean-Paul-Stein jedenfalls steht heute noch auf seinem Platz, an dem breiten Weg vom Herzogweiher hinauf zum Hotel Fantaisie (und zum Schloss). Die Inschrift lautet:

 

»Jean Paul!

Dem sinnigen und erhabenen Dichter;

Deutschlands vorzüglichstem Musensohne,

dem Freunde der Natur und Kunst,

Deutschlands Zierde, Deutschlands Stolz.«

 

Gedenkstein für Jean Paul

am Jean-Paul-Felsen

im Schlosspark Fantaisie, 1820

Aber jetzt müssen wir uns langsam vom Schlosspark Fantaisie losreißen und weiter dem Jean-Paul-Weg folgen. Dazu verlässt man den Park und begegnet von dieser Seite aus, quasi von hinten, dem Örtchen Eckersdorf. Von hier kann man die evang.-lutherische Kirche St. Ägidius sehen, die wie eine Burg auf einem Felssporn liegt, genau da, wo die beiden Räthschluchten des Salamandertales und des Lüchauentales zusammenstoßen und steil abfallen. Ein neuer, schöner, kleiner Teil des Jean-Paul-Weges wartet auf uns.

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Evang.-lutherische Kirche St. Ägidius in Eckersdorf
Evang.-lutherische Kirche St. Ägidius in Eckersdorf

Nachdem man auf schmalen Gassen an ein paar Gärten vorbeigewandert ist, tritt man in das Salamandertal ein. 

Jetzt entlang am Mühlbach in Eckersdorf ...
Jetzt entlang am Mühlbach in Eckersdorf ...

Es ist aber nur ein kurzes Stück, dann steigt man wieder ein paar Stufen hoch und gelangt auf eine Dorfstraße. Oben, am Ende der Treppe, warten schon zwei Katzen auf uns …

So jedenfalls sitzen sie da. Und da ist es wieder, dieses Phänomen: Zwei Wesen aus einer anderen Welt halten Ausschau nach uns, als ob sie uns begrüßen wollten, und wo wir denn so lange geblieben sind? Wie an einer Art Porte sitzen sie da. Und wo führte sie uns hinein? Was wissen die Tiere über den Ort dahinter? Wir können sie nicht fragen. 

Natürlich möchten wir stattdessen die beiden Miezen streicheln, haben aber Sorge, dass sie gleich davonlaufen. Also gehen wir nur ruhig an ihnen vorbei, denn wir wollen sie an diesem herrlichen Sonntag nicht vertreiben.

 

Wir fragen uns, ob das nun schon das schöne Salamandertal war? Das wäre ein bisschen kurz. Wir haben auch keine neuen Stationstafeln gefunden. Also laufen wir einfach weiter, wieder vorbei an Gartenzäunen und Garagenein­fahrten, irren ein wenig herum. Ich frage einen Passanten, ob er weiß, wo der Jean-Paul-Weg weitergeht, oder ob er wüsste, wo so grüne Tafeln, mit Texten drauf, stehen. Ich gehe schon fast davon aus, dass den meisten Menschen »Jean Paul« nichts sagt. Aber, oh Wunder! Er weiß, was ich meine. Natürlich kenne er Jean Paul und auch den Weg. 

»Sie sind hier richtig!«, sagt er noch. 

 

So ein schöner Tag heute, denke ich schon wieder! Es dauert nicht lange, dann sehen wir auch die nächste grüne Tafel. Und da ist sie, Stationstafel 135, direkt am eigentlichen Eingang des Salamandertales. Rechts plätschert der Mühl­bach, links ragen ein paar Felsen in die Höhe. Das Salamandertal heißt so, weil man bei feuchtem Wetter hier Feuersalamander sehen kann. Wenn man Glück hat.

Der Fremde als Bruder

 

Überhaupt ist jeder Mensch seine eigne Kopiermaschine, die er an andere ansetzt, und wenn er gern alles in seine geistliche und geistige Verwandtschaft als Seelen-Vettern hineinzieht.

 

Bringe nur deinem Kinde das fremde Leben und Ich lebendig genug vor das seinige, so wird er es lieben.

 

Das Erregungsmittel besteht in Versetzung in fremdes Leben – und in Achtung für Leben überhaupt.

 

Um zur Wahrheit zu gelangen, sollte jeder die Meinung seines Gegners zu verteidigen suchen.

 

Nicht der äußere Mensch, aber der innere hat Spiegel nötig.

 

Man kann sich nicht anders ganz sehen als im Auge des fremden Sehers.

Einzelwesen, ja Völker, sterben oft, ohne je sich an eine andere Stelle gedacht zu haben als an die ihrige.

Was für ein entzückendes Tal! Wir sind überrascht. Jahrelang, ja, jahrzehntelang, kann man fast sagen, fahren wir auf der B 22 von Hollfeld nach Bayreuth und kommen dabei durch Eckersdorf, dann durch Donndorf, erhaschen im Vorbeifahren immer einen Blick auf das Schloss Fantaisie und den Park, hatten aber keine Ahnung, dass ein wenig abseits der Bundesstraße, aber mitten im Ort, sich so ein romantischer Weg unten durch ein Tälchen schlängelt. 

 

Peter muss ich auf der Bank bei Stationstafel 135 zurücklassen und alleine weitergehen. Durch das ganze Tal, vorbei auch an der nächsten Stations­tafel, vorbei an bemoosten Felsen, über kleine, rutschige Holzstege, Radfahrer bleiben ste­hen und lassen mich auf dem schmalen Pfad sicher vorbeilaufen. Die Sonne steht schon tief und glitzert zwischen den Zweigen hindurch. Fast schon scheint es, als ob erster Nebel im kühlen Grund zu steigen beginnt.

Mitten im Tal finde ich Stationstafel 136:

Auf dem Jean-Paul-Weg im Salamandertal – Stationstafel 136 »Krieg dem Kriege«
Auf dem Jean-Paul-Weg im Salamandertal – Stationstafel 136 »Krieg dem Kriege«

Krieg dem Kriege

 

Das Unglück der Erde war bisher, daß zwei den Krieg beschlossen und Millionen ihn ausführten und ausstanden, indes es besser, wenn auch nicht gut gewesen wäre, daß Millionen beschlossen hätten, und zwei gestritten.

 

Nur der herbste, zäheste Barbarismus der Vorzeit, der Krieg, bleibt noch dem uns angebornen Antibarbarus zuletzt zu überwinden übrig.

 

Der Krieg kommt endlich selbst am Kriege um; seine Vervollkommnung wird seine Vernichtung.

 

Das Gute wächst auf den Jahrhunderten, das Böse auf dem Augenblick, jenes lebt von der Zeit, dieses stirbst an ihr.

 

Es gibt eine höhere Tapferkeit – die Tapferkeit des Friedens und der Freiheit, der Mut zu Hause.

Ich laufe den ganzen Weg durch das Tal bis zum Ende, wo man über Stufen hinauf durch den Privatgarten eines Anwohners steigen muss. Dann wieder weiter durch Gassen bis zum Ortsausgang. Hier erkenne ich schon von Weitem, dass der Weg jetzt durch Landschaft führt, unter Bäumen hindurch und an Feldern vorbei. Mit diesem Wissen kann ich zurück zu Peter. 

So führt der Jean-Paul-Weg hinter Eckersdorf weiter
So führt der Jean-Paul-Weg hinter Eckersdorf weiter

Er sitzt immer noch auf der Bank im Salamandertal und hält nach mir Ausschau.

 

Die Bayreuther Etappe bis zum Schloss Fantaisie und dem Dorf Oberwaiz ist für uns ein bisschen wie eine Schnitzeljagd. So von Stationstafel zu Stationstafel, ohne Wanderung und ohne Fidel. Diesen Etappenabschnitt hatten wir, wie ich schon erzählte, 2012 ausgespart, um mit Fidel nicht durch die Stadt laufen zu müssen. Dann kam 2013 ja Peters Unfall dazwischen, was zwingend die Auflösung unserer Filmproduktion und die Eröffnung der »Kaffeestube Märchen­Win­kel« als Existenzsicherung erforderte, die aber dann schon 2015 wegen Erschöpfung wieder aufgegeben werden musste, und der Umzug nach Ronne­burg folgte. Erst 2017 konnten wir diese Etappe nachholen und in den Reise­bericht einfügen. 

 

Jetzt fahren wir mit dem Auto zum Ortsausgang von Eckersdorf und suchen Stationstafel 137. Noch einmal fragen wir Leute, die gerade vorbei­kommen, nach den grünen Tafeln. Auch hier kennt man diese und auch Jean Paul. Schon wieder freuen wir uns. Wir freuen uns so, als ob Jean Paul unser Bruder wäre. Wir sind stolz, dass man seinen Weg kennt.

Auf dem Jean-Paul-Weg hinter Eckersdorf – Stationstafel 137 »Unsere arme Erde«
Auf dem Jean-Paul-Weg hinter Eckersdorf – Stationstafel 137 »Unsere arme Erde«

Unsere arme Erdkugel

 

Auch macht ja die Erde jetzo überall Härt-Anstalten des Gefühls, nämlich Kriege. Wie kalt geht man in der Geschichte über die unzähligen Schlachtfelder, welche die Erde mit Todes-Beeten umziehen!

 

Wenn der Krieg seinen Ameisen- oder Maulwurfspflug auf unserer Kugel einsetzt und mit einer Pflugschar, welche Länder durchschneidet, die aufgeworfen Ameisen-Hügel, die man Städte nennt, aushebt, umstürzt und zerreibt: Fallen denn nicht alle aufgehoben Hämmer des Handwerks der Kriegsmaschine immer nur auf ein­zelne Herzen herunter, jeder Hammer auf seines?

 

So wenig geht bisher der Mensch noch den Menschen an; er sieht noch nicht, daß jeder Erdenkrieg ein Bürgerkrieg ist.

 

Die ganze Erde muss einmal ein einziger Staat werden, eine Universalrepublik.

 

Die Erde ist das Mutterland der Vaterländer.

Ich gehe sogar noch weiter: Es muss werden wie bei »Raumschiff Enterprise« oder »Star Trek«, wie die US-Serie original heißt. 

Die Führungsoffiziere und Besatzungsmitglieder des oben genannten Raum­schiffs gehören nämlich zur »Vereinten Föderation der Planeten«, einer im 22. Jahrhundert gegründeten und von der Erde aus regierten Allianz von Völkern in der Milchstraße. Dabei sind die Völker im Star-Trek-Universum recht unterschiedlich in Farbe, Form, Geschlecht, Temperament, Gedanken, politischen und ethischen Weltanschauungen. Stört keinen. Sie arbeiten in erstaunlichster Weise zusammen, denn es geht immer darum, die Rechte aller Wesen zu wahren und zu verteidigen, aller Wesen! Sonst gehts ja nicht.

Die politische Welt von oben

Ich sage immer zu Peter, wenn wir uns über Weltpolitik unterhalten, dass erst eine »Draufsicht« auf die Erde eine sinnvolle Sichtweise ermöglicht. Dann kann man sehen, dass alle Bewohner der Erde in einem Boot wohnen, sozusagen, und erst dann, wenn die Rechte weltweit für jeden gleich gelten, wird es viel­leicht einmal Ruhe geben. Gleiche Löhne und gleiche Steuern für alle – die auch gezahlt werden müssen. Dann ziehen die Konzerne vielleicht nicht mehr in Horden um die Erde. Die Erde, der Grundbesitz, die Bodenschätze, die Elemente Wasser, Luft, Erde und Energie (Feuer) gehören entweder allen oder keinem.

 

Das hat Jean Paul auch schon gewusst. Da gab es noch gar kein »Star Trek«, auch keine Bilder vom blauen Planeten aus dem Weltall. Aber es ist ja auch nix Schlaues. Alle wissen das. Ab und zu sagt es mal einer laut, wie Jesus zum Beispiel. Der beantwortete übrigens auch schon die allerorts besprochene Glück-Frage vor 2000 Jahren mit den Worten: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Aber laut »Star Trek« können wir bis zum 22. Jahrhundert kaum mit so einer intelligenten Lösung rechnen.

 

Peter sagt, die Demokratie ist eine Kugel, sowie unsere Erde. Auf einer Kugel­oberfläche gibt es kein Oben und Unten und auch keine Mitte. Der Mittel­stand aber tut immer noch so, als ob die Erde eine Scheibe sei, mit Mitte und Rand. Die in der Mitte sind in Sicherheit, die am Rand kippen weg.

Auf dem Jean-Paul-Weg hinter Eckersdorf
Auf dem Jean-Paul-Weg hinter Eckersdorf

Gar nicht weit von Stationstafel 137, vor dem Sport- und Tennisplatz des Ortes Donndorf/Eckersdorf und noch in Sichtweite der Grund- und Mittelschule von Eckersdorf, finden wir Groß- und Sonderstation 138 über »Jean Paul und die Kindheit«:

Jean Paul als Kind ...

 

Da die uferlose Tätigkeit unseres Helden sich mehr auf geistige als auf körperliche Spiele warf, – die er aber alle mit unsäglicher Wollust trieb, – so erfand er auch statt neuer Sprachen, neue Buchstaben. Er nahm geradezu die Kalenderzeichen, oder geometrische aus einem alten Buche, oder chemische, oder neueste aus seinem Kopfe, und setzte daraus ein ganz neues Alphabet zusammen. Hatt’ er es fertig: so war sein Erstes, daß er selber von seinem alphabetischen Solitär Gebrauch machte und eine oder ein Paar Seiten voll geschriebener Materien darein kleidete. 

 

Eine an sich bedeutende Lustbarkeit innerhalb des Hofes […] bestand darin, daß er in der Scheune auf einer Leiter einen freiliegenden Balken bestieg und von ihm auf das zwei Stockwerk tief gelegte Heu hinuntersprang, um unterwegs das Fliegen zu genießen.

 

Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«

 

 

Da bauete er sich mit der Schwester in den Heuschober ein und fuhr auf dem architektonisch gewölbten Heu-Gebirge des Wagens heim.

 

Jean Paul »Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal«

... und als Vater

 

»Als wir ganz klein waren, bewohnten wir zwei Stockwerke eines Hauses, der Vater arbeitete oben in den Mansarden. Wir Kinder krabbelten nun morgens mit Händen und Füßen die Treppe hinauf und hämmerten an der schließenden Falltüre, bis der Vater sie aufhob und nach unserem Einlaß sie wieder schloß und dann von einem alten Schrank eine bereits durchlöcherte Trommel herunternahm und eine Pfeife, mit denen wir stark musizierten, während er drinnen schrieb. Dann durften wir auch hinein zu ihm und mit dem Eichhörnchen spielen, das er abends in seiner Tasche mit in die Harmonie nahm.«

Aus den Erinnerungen der Tochter Emma

Kinderspiele zwischen Mensch und Tier

 

Es gibt zweierlei Kinderspiele, kindische und ernsthafte – die ernsthaften sind die Nachahmungen der Erwachsenen, das Kaufmann-, Soldaten-, Handwerker-Spielen die kindischen sind Nachäffungen der Tiere. Wutz war beim Spielen nie etwas anderes als ein Hase, eine Turteltaube oder das Junge derselben, ein Bär, ein Pferd oder gar der Wagen daran. Glaubt mir! ein Seraph [Hoher Engel] findet auch in unseren Kollegien und Hörsälen keine Geschäfte, sondern nur Spiele und, wenn ers hoch treibt, jene zweierlei Spiele.

 

Jean Paul »Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal«

 

 

Sein Kunstgriff nämlich, sich auf dem Lande den Hering zu ersetzen in solcher Ferne von der Küste, bestand darin, daß er, wenn er Semmel holen mußte, in den Bach watete und leise einen Stein aufhob, worunter eine Grundel oder ein noch kleineres Fischchen zu fangen war. Diese tat er in einen ausgehöhlten Krautstrunk (er stellte eine Heringtonne vor) und salzte sie gehörig ein, und so hatt’ er, sobald das Tönnchen voll war, Heringe zu essen gehabt, wenn nicht alles gestunken hätte.

 

Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«

Riesen-Eltern, Klein-Eltern und Kinder

 

Die Eltern haben ein leichtes, reines Mittel, den Kindern zugleich sehr zu predigen, zu erzählen und wohlzutun, nämlich durch Erzählung ihres Kindheit-Lebens unter den eigenen Eltern. Schon an und für sich ist dem Kinde, dem Kleinen, das Kleine das Liebste, und sie baten den Verfasser zuweilen um ein kleines Meer, einen kleinen lieben Gott.

 

Wie Kinder alles Verkleinerte und als ihnen Ähnliches lieben: so hören sie es gern, wenn ihr Vater ihnen seine Kindheitsgestalt vormalt und sich zu ihrem Maße herab verkleinert. In dieser Verkleinerungseinkleidung kann er allen Lehren, die ihm sein Vater gab, und alle guten Beispiele legen, die er selber gab. Nur behalte sich der erzählende Vater ein kleines Übergewicht über seine Brüder vor, um den Kindern in aller Größe zu erscheinen.

 

Tritt ihnen nun vollends Vater oder Mutter von den hohen Wuchsstufen auf ihre herab, so können sie es kaum begreifen, dass Eltern sonst Kinder gewesen, und sehen lerndurstig in dem Verkleiner-Spiegel ihre jetzigen Riesen-Eltern sich nur als Kinder bewegen.

 

Groß-Eltern befehlen nun den Klein-Eltern, und Menschen gehorchen, denen das Kind zu gehorchen hat. Hier findet dieses in der Erzählung nur jetzige Fortsetzung des vorigen Rechts, und keine Willkür – hier findet es, dass der Vater nur jetzo befehle, was er sonst als Kind befolgte; – und daß er seinen Eltern recht viel Liebe zuwandte und abgewann, denen sich wieder der Enkel desto wärmer aus Nach­liebe und Freiheit an die Brust wirft.

 

Jean Paul »Levana oder Erziehlehre«

Weiter geht es über die B 22 nun noch durch das nördliche Siedlungsgebiet von Eckersdorf und dann hinaus über die Felder in Richtung Oberwaiz. 

Auf dem Jean-Paul-Weg in Richtung Oberwaiz
Auf dem Jean-Paul-Weg in Richtung Oberwaiz

Immer sind noch viele Menschen unterwegs. Ich freue mich auf das letzte Stück­chen über die Höhe. Es ist, als ob man der Sonne entgegenlaufen würde. So viel Licht, man möchte sich darin baden. Peter muss leider im Auto warten, sein Fuß schmerzt jetzt richtig. Für ihn war es schon viel für heute. Bald erreiche ich Stationstafel 139. Eine kleine Bank hat sich zu ihr gesetzt.

Glück im Winkel

 

Er erinnerte sich in den Abendstunden, was er im Kindheit-Dezember vornahm: wie er sonst abends sich aufs Zuketten der Fensterläden freuete, weil er nun ganz gesichert vor allem in der lichten Stube hockte, daher er nicht gerne lange in die von ihm abspiegelnden Fensterscheiben über die Läden hinausgelagerte Stube hineinsah, wie er und seine Geschwister die abendliche Kocherei der Mutter aus­spionierten, unterstützten und unterbrachen, und wie er und sie mit zugedrückten Augen und zwischen den Brustwehrschenkel des Vaters auf das Blenden des kommenden Talglichts sich spitzten, und wie sie in dem – aus dem unabsehlichen Gewölbe des Universums herausgeschnittenen oder hineingebauten – Closet ihrer Stube so beschirmt waren, so warm, so satt, so wohl.

 

Jean Paul »Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal«

Mit einem guten Freund des Abends auf dieser Bank zu sitzen, voll stiller Zu­neigung, umgeben von Wesentlichem und einem zufriedenen langsamen Abschied. So beschienen von der Sonne eines nie versiegenden Glücks. Was für ein Ende wäre das!

 

Gar nicht mehr weit und Stationstafel 140 begrüßt mich am Wegesrand, mir zuwinkend, vom Ziel unserer heutigen Etappe.

Glück im Alltag

 

Den ganzen Tag freute er sich auf oder über etwas.

»Vor dem Aufstehen«, sagt’ er, »freu’ ich mich auf das Frühstück, den ganzen Vormittag aufs Mittagessen, zur Vesperzeit aufs Vesperbrot und abends aufs Nachtbrot – und so hat der Alumnus Wutz sich stets auf was zu spitzen.

Trank er tief, so sagt’ er: »Das hat meinem Wutz geschmeckt« und strich sich den Magen.

Niesete er, so sagte er: »Helf dir Gott, Wutz!«

Im fieberfrostigen Novemberwetter letzte er sich auf der Gasse mit der Vormalung des warmen Ofens und mit der närrischen Freude, daß er eine Hand um die andre unter seinem Mantel wie zu Hause stecken hatte. War der Tag gar zu toll und windig […], so war das Meisterlein so pfiffig, daß es sich unter das Wetter hinsetzte und sich nichts darum schor;

es war nicht Ergebung, die das unvermeidliche Übel aufnimmt, nicht Abhärtung, die das ungefühlte trägt, nicht Philosophie, die das verdünnte verdauet, oder Religion, die das belohnte verwindet: sondern der Gedanke ans warme Bett wars.

»Abends«, dacht er, »lieg’ ich auf alle Fälle, sie mögen mich den ganzen Tag zwicken und hetzen, wie sie wollen, unter meiner warmen Zudeck und drücke die Nase ruhig ans Kopfkissen, acht Stunden lang.« Und kroch er endlich in der letzten Stunde, eines solchen Leidentages unter sein Oberbett: so schüttelte er sich darin, krempte sich mit den Knien bis an den Nabel zusammen und sagte zu sich: »Siehst du, Wutz, es ist doch vorbei.«

Ein anderer Paragraph aus der Wutzischen Kunst, stets fröhlich zu sein, war sein zweiter Pfiff, stets fröhlich aufzuwachen – und um dies zu können, bedient’ er sich eines dritten und hob immer vom Tage vorher etwas angenehmes für den Morgen auf, entweder gebackne Klöße oder ebensoviel äußerst gefährliche Blätter aus dem Robinson, der ihm lieber war als Homer oder auch junge Vögel oder Pflanzen, an denen er am Morgen nachzusehen hatte, wie Nachts Federn und Blätter gewachsen.

 

Jean Paul »Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal«

Auf dem Jean-Paul-Weg vor Oberwaiz – Stationstafel 140 »Glück im Alltag«
Auf dem Jean-Paul-Weg vor Oberwaiz – Stationstafel 140 »Glück im Alltag«

Auf der Heimfahrt fliegen wir noch am Hotel Fantasie vorbei, das von Herzog Alexander von Württemberg erbaut und 1866 eröffnet wurde, in dem auch Richard Wagner genächtigt haben soll, das zurzeit aber wieder einmal ge­schlossen ist.

 

Und dann erwische ich mit dem Fotoapparat auch im Vorbeifahren das Hauptportal mit Schloss Fantaisie ...

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Zum Abschluss des Tages beglücken wir uns mit einem Besuch beim Becher Bräu.

 

In der Gaststube sind alle Plätze auf der langen Bank unter den Fenstern besetzt. Wir nehmen am Stirnende Platz und blicken wie auf eine vollbesetzte Tafel. Heute ist es so laut wie noch nie. Das Gebrüll in fränkischen Gasthäusern ist normal, denn die Franken reden laut. Von Weitem glaubt man, sie streiten. Wenn einer in der Gaststube anfängt zu reden, müssen die anderen dagegenhalten, damit man verstanden wird. Und so wird es immer lauter und lauter.

 

Es ist Sonntag Abend, gegen sechs Uhr, essen will von den anderen Gästen heute keiner mehr irgendwas, also wird nur das gute Bier getrunken und Cortney, die junge Wirtin, hat sie alle im Griff. Wir wissen es schon: heute gibt es Bock! Die »Wutz’sche Vorfreude« darauf zog uns schon durch den ganzen Tag. Der Erste war gleich gezischt. Es gibt einen Zweiten und auch etwas Warmes zum Essen. Ganz umhüllt sind wir nun von Gemurmel, oder besser gesagt von Geschrei, gutem Bier, Klößen und Jean Paul. Per Bierdeckelspruch ist er uns hierher nachgewandert und gesellt sich nun zu uns an den Tisch, heute mit seinen Worten: 

»Der Becher (Jean Paul: die Erinnerung) ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.«

Die Heimfahrt nach Ronneburg war ruhig, kaum Verkehr, Peter schnurrt ganz entspannt nach Hause, weil 1 Schäufele und 3 Bock, ich 1 Schweinebraten und 2 Bock. War es so? Mein Gott, das darf man nicht erzählen.

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Kommentare: 2
  • #1

    Thomas Sticht (Montag, 27 April 2020 19:57)

    Leider ist der Weg am Ende des Salamandertals durch ein Privatgrundstück seit kurzem versperrt, es besteht daher nur die Möglichkeit das wunderschöne Geotop zu durchlaufen und umzudrehen, hat dann einen Umweg von 1 km zur Folge

  • #2

    Herbert Pöhlmann (Montag, 14 November 2022 16:13)

    Mittlerweile hat die Gemeinde einen Ersatzausgang/Eingang geschaffen, der über einige steile Treppenstufen führt. Es ist geplant, diesen Ein-/Ausgang des Salamandertales weiter zu verbessern. Für normale Wanderer ist das aber auch schon jetzt kein Problem.