19. Wie soll das wieder heile werden?

Von Rodungsarbeiten zerstörter Forst
Bischofsgrün – Entenmühle

Bischofsgrün – Entenmühle


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Den kompletten Verlauf des Jean-Paul-Wegs finden Sie hier: Literaturportal Bayern

Mittwoch, der 22. August 2012.

Letzte Nacht gab es endlich das erlösende Ge­witter. Hier in Nagel hört man Wetter von Weitem. 

»Wegen des Sees«, meint Peter. Und da ist es wieder, das Thema »Grenz­flächenmikrofon«: Wieder bildet hier der See eine schallreflektierende Fläche. Diese verteilt die akustischen Signale störungsfreier, wodurch sie verstärkt werden. 

»Und das stimmt so?«, frage ich Peter.

 

Nun denn, ich finde Gewitter äußerst gemütlich. Wie schön, dass man sie hier auch noch besonders laut hören kann. Die Fenster in unserer neuen Ferien­wohnung im Erdgeschoss sind groß. So haben wir eine gute Aussicht auf den Garten des Hauses. Die Bäume triefen, ihre Äste hängen fast bis in unser Schlaf­­zimmer hinein. Regenduft verströmt sich überall. Die Natur hatte so lange auf den Regen gewartet, jetzt macht er sie satt.

 

Nein, vor Gewitter habe ich keine Gespensterfurcht, hatte sie auch als Kind nicht, weiß nicht warum. Aber vor dem dunklen Kohlenkeller schon. In dunkle Ecken fantasiert unser Gehirn schnell Lückenfüller. Gut eignen sich hierfür Monster oder Götter. Da, wo wir nichts sehen, dichten wir hinein.

 

Heute ist für mich Furcht nichts Schlimmes, dagegen Angst schon. Denn Angst kommt nicht mit dunklen Ecken daher, Angst wohnt überall in un­serer Seele, in jeder Ecke. Sie wütet, auch wenn wir sie gar nicht bemerken. Sie wird immer von anderen in uns hineingepflanzt. Auf diese Weise entsteht zum Beispiel die Angst vor Scham. Es ist eigentlich immer die Angst vor Scham, nicht die Scham selbst, die uns quält. Wieso eigentlich diese Scheiß-Scham?

 

Religion produziert sie. Auch Nachbarn, die Schule, die Gesellschaft mit ihrem Statusdenken. Mobber – ich nenne sie immer: »Sich-Hochmobber« – nutzen sie als ihr Instrument. Beschäme jemanden und er geht nicht mehr aus dem Haus. So einfach geht Macht, oder sagen wir Statuserhalt oder -wechsel. Dafür braucht man kein Geld, nicht einmal sichtbare Gewalt, keine Bildung, nicht einmal Freunde, oder besser gesagt, Mittäter. Man kann es einfach machen, einfach sich in die Gefühlswelt eines anderen einnisten. Ohne sichtbare Spuren oder Beweismaterial zu hinterlassen. Aber jetzt habe ich keine Lust mehr, über dieses Thema zu schreiben, irgendwie nicht.

 

Peter musste heute Morgen nach Hause, nach Hollfeld, fahren, um die Kamera zu holen. Morgen hat er einen Drehtag. Das Geld muss verdient werden. Als Freiberufler hat man nie frei. Gegen 13 Uhr wird er wieder zurücksein. Ich mache derweil die Ferienwohnung sauber, schreibe und recherchiere ein wenig und sitze mit Fidel auf der Terrasse. Er schläft auf seiner Decke im Sessel, na­türlich immer mit einem offenen Auge auf mich. Es ist wieder sonnig, Gott sei Dank nicht mehr ganz so heiß wie vor ein paar Tagen.

 

Die neuen Vermieter sind weniger entspannt, das merken wir schon. Ständig laufen sie über unsere Terrasse, dicht an unseren Fenstern vorbei, dann durch den Garten auf die Straße. Warum gehen sie nicht oben durch ihre eigene Haus­tür? Das wäre kürzer für sie. Nun, wir werden sehen. Ich packe schon mal die Wandersachen. Dann kommt Peter pünktlich zurück. Er zischt schnell ein Bierchen, in Bayern darf man das, dann geht es los. Gegessen wird heute in der »Entenmühle«, da freuen wir uns schon drauf. 

 

Wir fahren mit dem Auto nach Bischofsgrün und parken dort auf dem Parkplatz der Sesselbahn »Talstation Nord«. Dort verwickelt uns der Parkplatz­wächter in ein Gespräch. Wir erzählen von unserer Wanderschaft und vom relativ neuen Jean-Paul-Weg, der im Fichtelgebirge beginnt, mitten durch Bischofsgrün verläuft und dann hinten wieder aus dem Ort hinaus nach Bad Berneck bis schließlich nach Bayreuth und Sanspareil. »… wenn ihnen das etwas sagt«, meint Peter.

»Ich weiß schon, sie müssen hinten nach Rangen über die 303, da müssens aufpassen mit dem Hund. Danach wirds dann ziemlich scheußlich. Die räu­men da alles aus dem Wald raus und hinterlassen eine Sauerei, des glaubens net. Einfach so. Fertig und Abhauen.«

Wir: »Aha.«

Er: »Aber normale Wanderer sehen des gar net. Augen zu und durch, egal. Einen Wanderführerschein müsst es eigentlich geben … ich hör’ jetzt auf, passens nur auf die Schuh auf!«

 

Vorgewarnt schlappen wir los, weiter auf dem Jean-Paul-Weg, vorbei an dem Wirtshaus »Hammerschmiede« (wir sind nicht eingekehrt), …

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… durch den Naturpark unterhalb von Bischofsgrün, in der Nähe des Weißen Mains, und wieder hinauf nach Rangen, einem Ortsteil hinter Bischofsgrün. Mit dem Blick zu­rücklesen wir auch die 12. Tafel »Landschaft zu Jean Pauls Zeiten«.

Habern und Sommerkorn

Der Lehrer von Jean Paul, Th. Helfrecht, hat das Fichtelgebirge um 1800 beschrieben. Es lässt Einblicke zu, wie sich die Landschaft seit dieser Zeit verändert hat.

 

»So angenehm und fruchtbar die Goldkronacher Gegend ist, wo auch noch Nuss- und Obstbäume fortkommen; so rau und mager ist die Wülfersreuther Höhe. Die Bischofsgüner Fluren liefern statt Obst, die übrigens unentbehrlichen Erdäpfel, statt Weizen ein Gemenge von Habern und Sommerkorn.«

 

Die Ansicht von Bischofsgrün um 1800 zeigt dass die Rodungsinsel wesentlich größer war als heute. Auf dem Bild sind Getreide-, Kartoffel- und Kleeäcker dargestellt. Die abgebildeten Personen zeigen die Mode der Zeit.

Landschaftsbild von Bischofsgrün um 1800 mit Personen im Vordergrund, gekleidet in damaliger Mode
Ochsenkopf – Aquarell von Johann Georg Koeppel – mit freundlicher Genehmigung Fichtelgebirgsmuseum in Wunsiedel

Und gleich folgt die 13. Tafel »Landschaft zu Jean Pauls Zeiten«.

Auf dem Jean-Paul-Weg – 13. Tafel »Landschaft zu Jean Pauls Zeiten« – Von guten Grasplätzen
Auf dem Jean-Paul-Weg – 13. Tafel »Landschaft zu Jean Pauls Zeiten«
Auf dem Jean-Paul-Weg – hinter Bischofsgrün, mit stillgelegtem Kirchberglift
Auf dem Jean-Paul-Weg – hinter Bischofsgrün, mit stillgelegtem Kirchberglift

Neben uns liegt der stillgelegte Kirchberglift, über ihm viele grauen Regen­wolken. Vor uns steht Stationstafel 77, die jetzt so schön in die Wintervor­stellung passt.

Winter-Leiden und Winter-Freuden

 

Im Winter ist bei dem Volke die größte Armut; nur der warme Geist ist ein reicher.

 

Jean Paul »Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch«

 

 

Eben da war Egidius froh, daß draußen Müller und Bäcker einander schlugen – wie man das wehende Schneien in großen Flocken nennt – und daß die Eisblumen der Fenster aufblühten – denn er hatte äußern Frost bei Stubenhitze gern –: er konnte nun Pechholz in den Ofen und Möhrenkaffee in den Magen nachlegen und den rechten Fuß (statt in den Pantoffel) in die warme Hüfte des Pudels schieben und doch noch auf dem linken den Starmatz schaukeln, der die Nase des alten Schilles (Name des Pudels) abraupte, indes er mit der rechten Hand – mit der linken hielt er die Pfeife – so ungestört, eingemummt, umnebelt und ohne ein frostiges Lüftchen […].

 

Jean Paul »Leben des Quintus Fixlein«

 

 

Draußen deckte zwar der Himmel alles mit Stille zu, den Bach durch Eis, das Dorf mit Schnee; aber in der Wohnstube war Leben, unter dem Ofen ein Taubenstall, an den Fenstern Zeisig- und Stieglitzenhäuser, auf dem Boden die unbändige Bullenbeißerin, unsere Bonne, der Nachtwächter des Pfarrhofs, und ein Spitzhund und der artige Scharmantel, […] – und darneben die Gesindestube mit zwei Mägden; und weiter gegen das andere Ende des Pfarrhauses der Stall mit allem möglichen Rind-, Schwein- und Federvieh und dessen Geschrei; unsere auch vom Pfarrhofe umschloßne Drescher könnt’ ich mit ihren Flegeln auch rechnen. So von lauter Gesellschaft umgeben brachte nun leicht der ganze männliche Teil der Wohnstube den Vormittag mit Auswendiglernen nahe dem weiblichen Kochen zu.

 

Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«

Das ist die Beschreibung von jeanpaulischem Stubenglück pur! Das ist »Zuhause­sein«. Ich glaube, das ist die Mitte des Labyrinthes. Und der Sinn aller sinnlosen Wege ist »Nachhausefinden«.

Jean-Paul-Weg Wegmarkierung auf einem Baumstamm mit dem Schild »Kein Winterdienst«
Auf dem Jean-Paul-Weg bei Bischofsgrün

Und gleich weiter mit Stationstafel 78 und einen Blick auf den Schneeberg:

Auf dem Schneeberg

Daher kann dieser Vorredner niemals aufhören als unweit des Ochsenkopfs, auf dem Schneeberg.

[…] Meine Sänfte wurde abgeschnallt und ich mit geschlossenen Augen hineingeschafft, weil ich erst auf dem Schneeberg, der Kuppel des Fichtelgebirgs, mich umsehen will .... Unter dem Aussteigen strömte vor meinem Gesicht eine ätherische Morgenluft vorüber; sie drückte mich nicht mit dem schwülen West (-wind) eines Trauerfächers, sondern hob mich mit den Wehen einer Freiheitfahne.

 

[…]; ich bin nun auf dem Schneeberg, aber noch in der Sänfte. Erhabene Paradiese liegen um mich ungesehen, wie um den eingemauerten Menschengeist, zwischen dem und dessen höherem Mutterland der dunkle Menschenkörper innen steht; aber ich habe mich so traurig gemacht, daß ich in das schmetternde Trommeten- und Laubhüttenfest, das die Natur von einem Gebirge zum anderen begeht, nicht hineintreten will: sondern erst wenn die Sonne tiefer in den Himmel gesunken und wenn in ihren Lichtstrom der Schattenstrom der Erde fällt, dann wird unter die stummen Schatten noch ein neuer beglückter stiller Schatten gehen.

 

Jean Paul »Die unsichtbare Loge – Vorredner in Form einer Reisebeschreibung«

Wenn man einfach wandert, geht man an solchen Stationstafeln eher vorbei, das heißt, man liest sie, versteht nicht recht, sagt zu sich: »So, so, aha …?« Und widmet sich wieder der Landschaft und dem Gehen. Ich, die ich das hier am Schreibtisch schreibe, habe die Gelegenheit, bei »Jean Paul« nachzuschauen. Die Textstellen auf dieser Tafel stammen aus der letzten Vorrede zu seinem ersten Roman »Die unsichtbare Loge« (1793).

Eine einzig glühende Ode an sein Fichtelgebirge

So, wie ich es zu verstehen glaube, geht es darum, dass der Verfasser des o. g. Romans sich schon seit einem Jahr darauf freut, die »Vorrede« zu schreiben, und zwar »in Form einer Reisebeschreibung«. Er habe sich das Schreiben, aus einem vernünf­tigen Grund, so lange aufgespart, bis er nämlich auf den Fichtelberg (alter Name für Ochsenkopf) fährt – per Sänfte. Weil – wie es jeanpaultypisch ist – wie wir es auch schon in Joditz schon erfahren haben – er sich gerne die Augen ver­binden lässt, wenn er zu einem Aussichtspunkt reisen möchte, damit er oben die plötzlich unerwartet schöne Aussicht erst recht viel mehr genießen kann. In diesem Fall hier, steigt er in die Sänfte, und statt die Augen zu verbinden, schreibt er während der ganzen Anreise seine Vorrede, nur – weil er dabei nicht aus dem Fenster gucken kann. Das Schreiben zwingt ihn zur Konzentration auf seinen Text: … Daher kann dieser Vorredner (Jean Paul selbst) niemals aufhören (zu schreiben) als unweit des Ochsenkopfs, auf dem Schneeberg. … Das heißt, die Vorrede wird so lang werden müssen, wie die Reise dauert. 

 

Und damit die Vorrede schön lange dauert, wendet sich der Vorredner in seiner Vorrede einfach an möglichst viel Leute: … ich muß wenigstens reden mit Rezensenten – Weltleuten – Holländern – Fürsten – Buchbindern – mit dem Einbein (er selbst) und der Stadt Hof – mit Kunstrichtern und mit schönen Seelen, also mit neun Parteien. …

So gelangt er unter dem Schreiben bis zum Ochsenkopf – er ist gerade beim Thema »Stadt Hof«, also noch nicht fertig –, steigt kurz aus, hält die Augen aber geschlos­sen, weil er jetzt doch zuerst auf den Schneeberg (der Kuppel des Fichtelge­birges) will. Deshalb atmet er, hier auf dem Ochsenkopf, nur die angenehme Luft: … Meine Sänfte wurde abgeschnallt und ich mit geschlossenen Augen hineingeschafft, weil ich erst auf dem Schneeberg, der Kuppel des Fichtelgebirgs, mich umsehen will […] Unter dem Aussteigen strömte vor meinem Gesicht eine ätherische Morgenluft vorüber; sie drückte mich nicht mit dem schwülen Gesicht eines Trauerfächers, sondern hob mich mit den Wehen einer Freiheit­fahne. …

Anschließend wendet er sich in seiner Vorrede an die noch fehlenden Kunstrichter, schreibt über die Kunst des Schreibens, über die von ihm gehasste französische Art zu erzählen oder von aristotelischen Gesetzen, usw. So gelangen sie – Jean Paul in der Sänfte und die beiden Träger, die Gondolierer – zum Fichtelsee und hier folgt der Text der Fichtelsee-Stationstafel 69: … Gegenwärtig trägt man das Einbein (mich) über den Fichtelsee und über zwei Stangen, die statt einer Brücke über diese bemooste Wüste bringen. Zwei Fehltritte der Gondelierer, die mich aufgeladen, versenken, wenn sie geschehen, einen Mann in den Fichtel­sumpf. …

 

Nun hatte er mit acht Menschen in seiner Vorrede gesprochen, ist fast fer­tig und der Schneeberg erreicht … und das Werk zum Glück schon in Berlin ist … heißt es weiter auf der Fichtelsee-Stationstafel 69: … Berge über Berge werden jetzo wie Götter aus der Erde steigen, die Gebirge werden ihre Arme länger ausstrecken und die Erde wird wie eine Sonne aufgehen und dann wird ihre weiten Strahlen ein Menschen-Blick verknüpfen und meine Seele wird unter ihrem Brennpunkt glühen …

 

Jean Paul kommt in seiner Vorrede dann zu der Überlegung: … Es ist gut, wenn ein Mensch seine Lebensereignisse so wunderbar verflochten hat, daß er ganz widersprechende Wünsche haben kann, daß nämlich der Vorredner dauere und der Schneeberg doch komme …

Weiter aus der Fichtelsee-Stationstafel 69: … In diesen Gegenden ist alles still, wie in erhabenen Menschen. Aber tiefer, in den Tälern, nahe an den Gräbern der Menschen steht der schwere Dunstkreis der Erde auf der einsinkenden Brust, zu ihnen nieder schleichen Wolken mit großen Tropfen und Blitzen, und drunten wohnt der Seufzer und der Schweiß. Ich komme auch wieder hinunter, und ich sehne mich zugleich hinab und hinauf. …

Jetzt sinniert Jean Paul über sich selbst widerstrebende Kräfte im Leben, gelangt unterdessen auf den Schneeberg. … Ich schrieb jetzt eine Stunde nicht; ich bin nun auf dem Schneeberg, aber noch in der Sänfte. Er­habene Paradiese liegen um mich ungesehen, wie um den ein­gemauerten Men­schengeist, zwischen dem und dessen höherem Mutterland der dunkle Menschen­körper innen steht; aber ich habe mich so traurig gemacht, daß ich in das schmet­tern­de Trommeten- und Laubhüttenfest, das die Natur von einem Gebirge zum anderen begeht, nicht hineintreten will: sondern erst wenn die Sonne tiefer in den Himmel gesunken und wenn in ihren Lichtstrom der Schattenstrom der Erde fällt, dann wird unter die stummen Schatten noch ein neuer beglückter stiller Schatten gehen. … (Stationstafel 78).

 

In der Vorrede folgt nun eine wunderschöne Beschreibung über die ihn beglückende Betrachtung des sich darbietenden Naturschauspiels, dessen Schluss wir schon von Stationstafel 39 »Versunken in der Natur« (die wir am Waldstein, bedauerlicherweise nicht gefunden hatten) kennen: 

… Nun tritt auch die Erdensonne auf die Erdengebirge und von diesen Felsenstufen in ihr heiliges Grab; die unendliche Erde rückt ihre großen Glieder zum Schlafe zurecht und schließet eintausend ihrer Augen um das andere zu.

Ach welche Lichter und Schatten, Höhen und Tiefen, Farben und Wolken werden draußen kämpfen und spielen und den Himmel mit der Erde verknüpfen – sobald ich hinaustrete (noch ein Augenblick steht zwischen mir und dem Elysium), so stehen alle Berge von der zerschmolzenen Goldstufe, der Sonne, überflossen da – Goldadern schwimmen auf den schwarzen Nachtschlacken, unter denen Städte und Täler übergossen liegen – Gebirge schauen mit ihren Gipfeln gen Himmel, legen ihre festen Meilen-Arme um die blühende Erde, und Ströme tropfen von ihnen, seitdem sie sich aufgerichtet aus dem uferlosen Meer – Länder schlafen an Ländern, und unbewegliche Wälder an Wäldern, und über der Schlafstätte der ruhenden Riesen spielet ein gaukelnder Nachtschmetterling und ein hüpfendes Licht, und rund um die große Szene zieht sich wie um unser Leben ein hoher Nebel. Ich gehe jetzo hinaus und sink’ an die sterbende Sonne und an die entschlafende Erde. …

 

Jean Paul fährt fort, beendet die Vorrede mit den Worten: … Ich trat hinaus – – … und der Roman beginnt.

 

Ich halte den Atem an. Mir fehlen die Worte, buchstäblich. Jean Paul ist so reichhaltig, dass ich alles zusammen gar nicht verdauen kann. Aber man muss ja nur einen Satz aus seinem Werk herausnehmen, ein paar Zeilen nur, diese allein sind schon so stellvertretend, dass man gar nicht mehr zu lesen bräuchte. Wahrscheinlich habe ich das schon öfter so beschrieben, ich entschuldige mich für alle Wiederholungen, aber ich kann sie auch nicht mehr verhindern … unmöglich.

So schöne Wege auf dem Jean-Paul-Weg
So schöne Wege auf dem Jean-Paul-Weg

Allein, nur anhand dieses Textes aus der Vorrede zur »Unsichtbaren Loge«, kann man erspüren, wie sehr Jean Paul das Fichtelgebirge geliebt hat, wie wichtig es ihm war und wie viel Schönes und Schauerliches er aus ihm schöpfen konnte. Das Fichtelgebirge – stellvertretend für die uns alle umgebende, unsterbliche Natur.

 

Jetzt müssen wir die B 303 überqueren, ist ein bisschen heikel bei dem vielen Verkehr. Gestresst, aber unversehrt erreichen wir die andere Seite und schon geht es gleich rechts hoch in den Bischofsgrüner Forst. Tja, und da sehen wir auch schon die Bescherung, von der uns der Parkplatzwächter erzählt hat.

 

Wir quälen uns durch die Verwüstungen, die Harvester, Forstmaschinen und Forstfahrzeuge hinterlassen haben. Der Wanderweg ist zerfurcht, aufgerissen, verschlammt. Alle paar Meter führen Rückewege in den Wald und hören plötzlich auf. Überall liegen herausgerissenene Baumstümpfe. Ein Bild der Trostlosigkeit. ­

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Das sieht aus wie: Reinfahren, Plattmachen, auf Tempo gehen, Rausreißen, Hochleistungssägen, Äste ab und wegwerfen, keine Umstände machen, Zackzack, egal und weg. Nach uns die Sintflut. Und alle tun dabei so, als ob sie nicht wüssten, was sie tun, als ob sie nicht wüssten, dass der Wald ein sensibler Organismus ist. Organismen sind immer verletzbar, immer. Jahrmillionen brauchten sie, um diese komplexe, perfekt funktionierende Lebensstrukur zu entwickeln. Es reißt einem das Herz aus dem Leib. Nein, diese Menschen entreißen der Erde das Herz.

»Wächst doch wieder zu«, höre ich sie sagen und in ihrem Verachtungs­schema fortfahren: »Wieso? Ja, ja, immer rummeckern, ihr benutzt doch auch Klopapier, das ist nun mal aus Holz. Ihr seid doch selbst Heuchler. Die Natur ist dafür da, dass man sie nutzt.«

 

Ich mache es kurz: Ich mag auch diese Kaste nicht. Die gelogenen Forstlieb­haber. Die gehören auch zu denen, die immer so tun, als ob alles zufällig pas­sieren würde. Die ihre Unbewusstheit wie einen Bauchladen vor sich her tragen, um schon mal prophylaktisch unschuldig zu erscheinen und mit sich im Reinen sind. Sie schlagen Wunden und kümmern sich nicht um die Verletzten. Ich höre ja schon auf zu schimpfen. Es kotzt mich an.

 

Peter sagt mir, ich solle doch mehr über Hintergründe, Machenschaften, Ursachen, usw. dieser Forstwirtschaft schreiben, dass das Holz nicht zu Klo­papier verarbeitet, sondern nach China verkauft wird. Ich habe wieder keine Lust mehr. Schluss.

 

So, dann noch am Holzabholstapel vorbei, über die Straße und weiter, hof­fentlich war es das für heute. Ich freu’ mich auf die Entenmühle, freu’ mich auf die Entenmühle, freu’ mich auf die Entenmühle, freu’ mich auf die Entenmühle, freu’ mich auf die Entenmühle …

 

So stiefeln wir weiter durch den Forst, und wie es der Teufel will, kommt die Stationstafel 79 passend mit dem Titel »Der Teufel« daher:

So stiefeln wir weiter durch den Forst, und wie es der Teufel will, kommt die Stationstafel 79 passend mit dem Titel »Der Teufel« daher.

Der Teufel

 

Die erste Sünde auf der Erde – zum Glück beging sie der Teufel auf dem Erkenntnisbaum – war eine Lüge; und die letzte wird auch eine sein; und den Wachstum an Wahrheiten büßet die Welt durch Verarmung an Wahrhaftigkeit.

 

Jeder Mensch hat seine Teufels-Augenblicke. Folglich werdet nicht irre, wenn das Kind auch seine Satans-Terzien hat, so wie seine Engelminuten.

 

Jean Paul »Levana oder Erziehlehre« (1807)

 

 

»Traue man mir aber nie zu,« – fuhr er fort – »als lieh’ ich dem Beelzebub körperliche Kräfte, etwas zum Bewegen von Körpern, Maschinen, Büchern und dergleichen – […] – Sondern ich lasse nur zu, daß dieser Fliegengott, ob er gleich nicht einmal so viel Körperkraft wie eine Fliege hat um gleich dieser nur einen Spinnenfaden oder gar eine Fliege selber damit fortzutragen, doch durch seine organische Hülle (jeder Geist muß eine umhaben) sich mit jeder Menschenseele in einen magnetischen Bezug setzen und diese dann, wie ein Magnetiseur die Hellseherin, seine Gedanken kann denken lassen und dadurch alles durchsetzen;

 

Jean Paul »Der Komet oder Nikolaus Marggraf«

»Der Komet oder Nikolaus Marggraf« ist der letzte Roman von Jean Paul, der ab 1811 entstand und 1820 bis 1822 bei Georg Reimer in Berlin erschienen ist. Das Werk blieb Fragment.

 

 

Ich bin der Vater der Lüge, aber bloß aus Humor.

Oh, da ist ja ein interessantes Hinweisschild, finden wir ...

Schild Waldgasthof Schweinsbach im Bischofsgrüner Forst
Auf dem Jean-Paul-Weg im Bischofsgrüner Forst
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Es gibt noch einen weiteren Gasthof vor der Entenmühle! Was für eine Überraschung! Haben wir heute Freitag? Nein, Mittwoch. Prima! Dann gibt es jetzt bald eine Pause und tröpfeln tut es sowieso. Guter Vorwand.

 

Und dann liegt er auch schon vor uns, mitten im Wald auf einer großen Wiese. Perfekt. Eine gute Wander-Einkehr. Der »Waldgasthof Schweinsbach« bietet alles, was unser Herz begehrt. Nur – wir sind heute, um elf Uhr, noch früh dran. Geplant war außerdem als Etappenabschluss eine Verspeisung in der Entenmühle. Doch schon trägt man hier im Gasthof die ersten Bräten mit Klößen an unseren Nasen vorbei. Wir bereuen unseren Plan, bleiben aber tapfer beim Frühschoppen und warten bis der Regen nachlässt.

Waldgasthof und Pension Schweinsbach im Bischofsgrüner Forst
Waldgasthof und Pension Schweinsbach im Bischofsgrüner Forst

Nach erfolg­reich bestandener Prüfung schleppen wir uns weiter, aber es regnet auch weiter. Gott sei Dank habe ich einen Regenschirm dabei. Die komischen dünnen Plasik-Capes, die wir für einen Euro gekauft haben, sind untauglich. Beson­ders bei Peters Leibesfülle.

 

«Da fahren wir auf jeden Fall noch mal hin!«, sage ich zu Peter, »und gehen mal gemütlich rein.«

»Yep!«

 

Dann beschert uns noch Stationstafel 80:

Das Christkind

 

Verf. dieses trieb es z. B. mit dem Chistkindchen oft weit (denn von einem Ruprecht sprach ich nie), ich setzte es auf den Mond und dahin unzählige lauter beste Kinder, und das Abendrot des Dezembers konnt’ er für nichts erklären, als für den Wiederglanz der aufgetürmten Wagen voll Christgeschenke u.s.w In späten Jahren, wenn die Kinder in Mond- und Abendglanz schauen, wird ein wunderbares Entzücken in ihnen weich aufwallen, und sie werden nicht wissen, welcher fremde Äther sie anwehe und hebe – – es flattert die Morgenluft eurer Kindheit, meine Kinder! –

 

Jean Paul »Levana oder Erziehlehre«

 

 

Was mich gestern so sanft anklang wie das gewöhnliche Fest-Einläuten, waren drei fremde Kinder, die ich belog. Ich gesteh’ es Rezensenten und Atheisten, ich befestigte die drei gläubigen Jünger, so sehr ich konnte, im erwiesenen Irrtum eines existierenden – Christkindleins: es fliege hoch und golden (macht’ ich ihnen weis) über die Häuser und schaue herab auf gute und böse Taten der Kinder und belohne jene und bestrafe diese. Ich zeigte ihnen ohne Bedenken eine entfallene Pfauenfeder desselben (wie man in mittleren Zeiten des Erzengels Michael Federkiele wies), da es auf der umkreisenden Turmfahne die Schwingen ausdehnte und wieder zusammenschlug ....

Es ist kindisch und pedantisch, aus Kindern freudige Irrtümer auszujäten, […]. Jagt den Ruprecht fort, aber lasset das magische Christuskind mit grüngoldnem Gefieder zwischen den widerscheinenden Dezemberwolken ziehen; denn jener richtet sich einmal grimmig mit gezahnten Tatzen im Fieber auf, aber dieses fliegt einmal vergoldend und anlächelnd durch einen dunklen Traum und durch die letzten Abendnebel auf dem Sterbebette und durchbricht mit hellen laufenden Goldpunkten den finstern Dunst. – –

 

Jean Paul »Der Jubelsenior«

»Der Jubelsenior« ist eine Idylle und aus dem Jahr 1797. 

Das Werk gehört zu den neun Büchern, die Jean Paul zwischen dem »Hesperus« und dem »Titan« geschrieben hat.

Der Himmel bleibt tief und dunkel. Wir laufen über eine Höhe und weiter an Maisfeldern vorbei, …

… dann durch das Dorf Metzlersreuth und da beobachten wir auf Stationstafel 81:

Max und Moritz Hühnerklau

 

Man höre: sein Hauswirt, der zugleich Professor und Geizhals war, beköstigte in dem ummauerten Hofe eine ganze Fasanerie von Hühnern. Fixlein samt einer Mitbelehnschaft von drei Stubengenossen bestritten den Mietzins einer Stube leicht; sie hatten überhaupt wichtige Dinge wie Phönixe nur einmal: ein Bette, worin allemal das eine Paar Vormitternacht, das andere Nachmitternacht gleich Nachtwächtern schlief – einen Rock, in dem einer um den anderen ausging und der wie ein Wachtrock die Nationalkleidung der Kompagnie war – und mehrere Einheiten des Interesse und des Orts. […] Unsere Unitarier hatten nur eine Sache viermal, den Hunger. Der Quintus erzählte es vielleicht mit einem zu freudigen Genuß der Erinnerung, daß einer aus diesem darbenden coro ein Mittel ersann, die Hühner des ordentlichen Professors wie Abgaben oder Steuern zu erheben. […] Aber in den Hof war nicht zu kommen. Der Feudalist machte sich daher eine Angel, klebte eine Brotpille an den Angelhaken und hielt fischend seine Angelrute in den Hof hinab. In wenigen Terzien griff der Haken in einen Hühnerschlund, und die angeöhrte Henne, die nun mit dem zinsherrlichen Feudalisten kommunizierte, konnte still, wie vom Archimedes Schiffe, in die Höhe gezogen werden zur hungrigen Luftfischerei-Sozietät, wo ihrer nach Maßgabe der Umstände der rechte Feudal-Name und Besitz-Titel wartete: denn die resorbierten Hühner mußten bald Rauchhühner, bald Wald-, Forst-, Vogtei-, Pfingst-, Sommerhennen benannt werden.

 

Jean Paul  »Leben des Quintus Fixlein« 

Eine Idylle, die 1794/95 entstanden und 1796 in Bayreuth erschienen ist.

Hat da etwa Wilhelm Busch bei Jean Paul geklaut? So klingt’s. Busch lebte nach Paul, von 1832 bis 1908. 

 

Egal, es geht weiter, Stationstafel 82 ist uns sehr erbaulich:

Auf dem Jean-Paul-Weg  hinter Metzlersreuth – Stationstafel 82 »Sommer-Freuden»
Auf dem Jean-Paul-Weg hinter Metzlersreuth – Stationstafel 82 »Sommer-Freuden»

Sommer-Freuden

 

Ich hob auf dem Chor, wo die Knaben standen, das beschmutzte falbe Rosenblatt auf, das unter ihren Füßen lag. Großer Gott! was halte ich da anders, als ein geringes Blatt mit ein wenig Staub daran, und auf diesem geringfügigen Dinge wird meiner Phantasie ein ganzes Paradies gereicht!

 

Der ganze Sommer, der in meinem Kopfe wohnet, hält sich auf diesem Blatte auf! Ich denke an die schönen Somniertage (Traumtage), wo diese Blätter sielen, wo der Knabe durch das Kirchenfenster den Teil eines blauen Himmels und die vorüberziehenden Wolken sah, wo ihn jeder Platz voll Sonnenlicht im kühlen Gewölbe an die Lust außer demselben erinnerte, und wo ich auf der beschienenen Stelle die Schatten der ziehenden Wolken sah.

 

Ach, gütiger Gott! Du säest überall das Vergnügen hin, und gibst jedem Wesen eine Freude in die Hand! Nicht bloß zu großen, stürmischen Freuden ludest Du uns ein, an die kleinsten Dinge bandest Du Ergötzen, und gabest Allem, was uns umgiebt, Wohlgeruch!

Es ist nur ein einziges Rosenblatt, das Jean Paul da aufhebt und in ihm das ganze Paradies sehen kann. Sich daran erfreuen kann. Während andere Men­schen das ganze, echte, reale Paradies vor sich sehen, ja, vor dem Paradies oder gar in ihm stehen, diesen Menschen jedoch nichts anderes einfällt, als zu glauben, das gehöre alles ihnen und sie sich deshalb einfach an allem bedienen dürften, es leerräumen dürften. Als gäbe es noch unzählige Paradiese dahinter, als gäbe es Paradiese im Überfluss, als würden Paradiese nachwachsen, als seien Paradiese unverwundbar, als seien Paradiese unzerstörbar, als seien Paradiese wegwerfbar, als seien sie Einweg-Paradiese, als könnten wir gut ohne sie leben. Wer braucht denn schon ein Paradies? So etwas ist wie ein überflüssiger Schnörkel, an dem man sich höchstens freuen kann, man ihn aber nicht wirklich braucht. Im Bischofsgrüner Forst hätten Tausende Rosenblätter liegen können, niemand hätte auch nur eines wahrgenommen.

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Jetzt geht es bergab ins Ölschnitz-Tal. Da kann die »Entenmühle« nicht weit sein. Wir hören auch schon Enten, wie sie schnattern, dazwischen ein paar Schafe, die blöken und Ziegen, die meckern. Da werden wir einkehren, wir ha­ben es uns redlich verdient, denn laut Wegbeschilderung sind wir jetzt schon um die 100 Kilometer gewandert. Für uns ist das begießenswert,

Jean-Paul-Weg Beschilderung – 111 km bis Joditz, 65 km bis Sanspareil
Auf dem Jean-Paul-Weg – schon mehr als die Häfte der Strecke haben wir erwandert

Der Himmel hat sich aufgeklärt, die Sonne scheint. Es ist Nachmittag, so um 16 Uhr. Wir betreten die Gaststube, sie ist nahezu leer. Der Betrieb geht sicherlich erst am Abend los. Wir lassen uns an einem Tisch in der Nähe des Ausschanks nieder, legen Fidels Decke unter die Bank, die er auch sofort zum Schlafen nutzt. Prima, jetzt können wir uns ungestört den Wirts­hausfreuden hingeben. Wir bestellen natürlich Ente mit Rotkohl und Klößen, dazu zünftiges Bier.

 

Um uns herum wurde alles zu dem Thema »Ente« dekoriert, was sich nicht wehrte. Mit Enten bestickte Kissen, Entenvasen, Entenbilder, Ententischdecken, Enten aus Holz, Enten aus Porzellan, Enten mit Federn, Enten überall. Klasse!

Der Kellner bringt uns das Bier. Eine Gruppe wandernder Frauen bröselt in den Gastraum, führt eine schnelle und zielgerichtete Inspektion durch, lässt sich dann doch lautschnatternd draußen auf der Sonnenterrasse nieder. Der Kellner rennt jetzt.

Wirte haben es auch nicht leicht

Wir nehmen lange Züge vom gut gekühlten, braunen Gebräu. Dann geht die Küchentür auf, eine Frau in Kittelschürze kommt herein, geht zum Tresen und zapft sich dort ein Bier. 

»So, jetzt brauch’ i erst mal a Bier. Darf i des?«, zu uns herüberschauend.

Wir: »Ja, klar.«

Sie: »Jetzt hab’ i elf Kilo Karotten g’schält, da geht das.«

Wir: »Klar!»

Dann scheucht sie eine Katze, die für uns unsichtbar auf einem Stuhl geschlafen hatte, in die Küche.

Die Wirtin: »Ja, die schläft immer in der Stube, auf irgendeinem Stuhl, man sieht sie kaum.«

Wir: »Uns stört das nicht.«

Sie trinkt ihr halb volles Glas in einem Zug aus und füllt es sich erneut.

»Pause muss sein. Wissens, letztes Jahr bin i in der Scheune von der Leiter g’fallen. Nur von der Leiter gefallen! Und hab’ mir alle Knochen gebrochen. Alle! I wusst gar net, dass mer so viele hat. Und bis der Krankenwagen kam … ach Gott, hat des gedauert. Sechs Tage war i auf der Intensivstation. In-ten-siv-station!«, sie betont es sehr intensiv.

Wir: »Oh, Gott!«

Sie: »Heut’ spür’ i jedes Wetter. Überall.«

Ich: »Oh Gott, dann haben Sie ja noch den Gasthof hier, das ist auch nicht wenig Arbeit.«

Sie: »Ach! Der hält mich fit … wo kommen Sie her?«

Ich: »Aus Hollfeld, das ist da Richtung Bamberg …«

Sie: »Na, i mein, wo ursprünglich?«

Ich: »Aus Trier …«

Dann der Kellner, der sich zwischenzeitlich dazugesellt hat:

»Trier? Da ist es hier schon kalt.«

Peter: »Kälte ist besser als zu heiß.«

Die Wirtin: »Neulich war eine Wanderin hier, die war unterwegs nach Rom. Die hat uns aber dann schon aus München gschriebn, dass sie abgebrochen hat, wegen der Blasen. Und dann war sie ja allein unterwegs. Die wollt’ hier nur mal duschen, die wollt’ auch auf dem Boden schlafen. Sonst nichts. Tat mir richtig leid.«

 

Der Kellner bringt uns das Essen. Sieht fantastisch aus. Wie das duftet! Am Ende einer Etappe darf man so richtig reinhauen. Kommt ihr Kalorien, heute könnt ihr uns nichts anhaben! Draußen singen die Frauen jetzt, kenne das Lied aber nicht. Die Katze von vorhin schleicht sich wieder in die Gaststube, da kommt noch eine zweite.

 

Wir sind satt und platt. Aber, aber wir müssen noch zum Bus. In einer Stunde fährt er, so vermuten wir nach dem Fahrplanstudium. Wir fragen den Kellner, wie weit es nach Lützenreuth ist, denn da ist die Haltestelle.

Er meint: »Na ja, eine halbe Stunde.« 

»Dann sollten wir unverzüglich aufbrechen«, seufze ich zu Peter.

 

Au weia. Nach Lützenreuth führt eine Asphaltstraße von der Entenmühle aus, über einen Kilometer immer bergauf. Fidel ist wieder fit, der rennt. Ich krache ein, kräftemäßig, pustemäßig. Ich habe einfach wenig Muskeln. Peter ist da stärker. Er nimmt mich bei der Hand und zieht mich ein bisschen. Bergab kann er wiederum schlecht, wegen der Knie. Dann gehe ich langsamer. So kommen wir gut zurecht.

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Stubenglück im Bushäuschen

Im Bushäuschen müssen wir dann doch noch eine halbe Stunde warten. Manch­mal tut das richtig gut. Wir gucken einfach. Schwalben segeln über uns hinweg. Gegenüber liegt eine Scheune, in die eine dicke, braune Katze unter dem großen Tor hindurch verschwindet. Fidel beobachtet sie in hellster Aufregung. Er hat jetzt seine Unterhaltung für die gesamte Wartezeit. 

 

Ein Opa, eine Oma und ein jüngerer Mann – wir nehmen an, es ist ihr Sohn – zuckeln, immer wieder im Gespräch stehen bleibend, zur selben Scheune, rollen das Scheunentor auf, im Inneren hört man sie kramen, es rumpumpelt kräftig und wir sehen Schatten umherhuschen. Ereignislosigkeit kann so spannend sein.

 

Peter raucht und hustet.

»Früher haben nur die Leute geraucht, die das Rau­chen vertragen haben,« ist sein Kommentar. 

Ich muss laut lachen. Unsere Laune ist von güldener Art, so wie das Bier heute in der Entenmühle. Dann telefoniert Peter mit dem Redakteur, wegen des Drehs morgen. Erste, von den Büschen heruntergefallene, Haselnüsse liegen auf der Straße, ein Moped knattert vorbei, dann kommt der Bus.

 

Wir sind wieder einmal die einzigen Fahrgäste. Zurück nach Bischofsgrün geht es über die Höhe. Die Sonne steht tief und wirft ihr warmes Licht auf die ab­gemähten Felder, manche sind schon gepflügt. Hoch oben kreisen zwei Bussarde und suchen unten nach Beute, zwei Lerchen tanzen sich trillernd in den Himmel hinauf, eine Katze lauert auf einer Wiese, vermutlich vor einem Mauseloch. Hoffentlich bleibt die Maus zuhause.

Erste Herbststimmung zwischen Lützenreuth und Bischofgrün
Erste Herbststimmung zwischen Lützenreuth und Bischofgrün

Dann kommt Bischofsgrün, dann der Parkplatz an der Sesselbahn, dann mit dem Auto zurück nach Nagel, kurz einkaufen, Essen kochen, vor dem Fernseher einschlafen, kriege nichts mehr aufgeschrieben. Weiß nicht, was es gab und was sie spielten. Nur noch Träume, Kinoland. Aus. 

 

 

 

PS:

In Hollfeld haben wir Nachbarn, die Geologen sind. Sie besuchten uns gerne in unserer ehemaligen Kaffeestube »MärchenWinkel«. Oft haben wir uns sehr angeregt unterhalten, natürlich auch über ihren Beruf, über Steine und das Leben der Steine. Das war uns neu. Sie sagten, man bräuchte sich eigentlich gar keine Gedanken um die Erde zu machen. Die Steine seien Jahrmilliarden alt und werden alles um Jahrmilliarden überleben. Selbst wenn alles kaputt ginge, die Steine blieben da. Sie sind der Ursprung des Planeten. Da sei der Mensch und seine paar Tausend Jahre so etwas wie ein evolutionärer Furz. 

 

Ergänzung: Die Erde ist etwa 4,6 Milliarden Jahre alt.

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