13. Die große Ode

Bad Alexandersbad – Luisenburg (ein absoluter Höhepunkt)
Bad Alexandersbad – Luisenburg (ein absoluter Höhepunkt)

Bad Alexandersbad – Luisenburg


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Den kompletten Verlauf des Jean-Paul-Wegs finden Sie hier: Literaturportal Bayern

Weitere Informationen über Jean Paul und Wunsiedel: Literaturportal Bayern – Dichterwege. Auf den Spuren von Jean Paul

Mittwoch, der 15. August.

Es ist ein von Gott geküsster Tag. Schon der Morgen voller Licht und leichten Wölkchen an blauen Himmeln – und mein Ge­burts­tag! Der wird schön werden. Ja! Deshalb wandern wir heute nur eine kurze Etap­pe. Sie führt schnurstracks zum Höhepunkt der Wanderung: mitten ins Felsenlabyrinth der Luisenburg. Wir starten in Bad Alexandersbad. Von hier aus sind es nur 4 1⁄2 Kilometer bis zum heutigen Ziel.

 

Wie der Name des Städtchens schon verrät, handelt es sich um ein Kurbad, das um eine Heilquelle herum gediehen ist. Der Sichersreuther Bauer Wolf­gang Brodmerkel hat 1734 die Quelle entdeckt, der Markgraf von Ansbach-Bayreuth, Christian Carl Alexander, hat die Quelle gekauft und 1783 ein Schlösslein hierher gebaut. Deshalb sind wir jetzt in Alexandersbad. (Hm, wie hieß es eigentlich vorher?)

Und als im Sommer 1805 Königin Luise von Preußen mit ihrem Mann, König Wilhelm III., auch noch drei Wochen hier verweilte, war das Bad in aller Munde. Die Quelle hieß nun Luisenquelle. Der, nahe auf einer Anhöhe gelegene, Landschaftsgarten mit Felsengewirr, genannt »Luxburg« (Lichtburg), wurde in »Luisenburg« umbenannt und Jean Paul verfasste anlässlich des Be­suchs der Königin Luise eine Ode.

 

So früh am Tag ist der sonnenumkränzte Weg durch den Kurpark zur Luisenquelle ein schöner Einstieg ins heutige Abenteuer, geziert von Stationstafel 60.

Heilkraft Fichtelgebirge

 

Das Fichtelgebirge, fast die höchste Gegend Deutschlands, gibt seinen Anwohnern Gesundheit (sie können am ersten das Alexandersbad entbehren) und einen starken hochgebaueten Wuchs. […]

Und deine Heilquelle gibt die Kraft – nicht dir, sondern – dem Kranken, hinaufzusteigen zum Thronhimmel über sich und zum Beherrschen der weiten Dörfer und Länderebene. –

 

Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«

 

 

Indem sie mehr schweigend als bisher auf der Höfer Landstraße und Leibgeber vorausging: so hob dieser, den das Fichtelgebirge zur Rechten wieder erquickte, sein gewöhnliches Reisepfeifen an, frohe und trübe Melodien des Volkes, die meisten in Molltönen.

 

Jean Paul »Siebenkäs – Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs«

Auf dem Jean-Paul-Weg nahe der Luisenquelle – Stationstafel 60 »Heilkraft Fichtelgebirge«
Auf dem Jean-Paul-Weg nahe der Luisenquelle – Stationstafel 60 »Heilkraft Fichtelgebirge«
Die Luisenquelle in Bad Alexandersbad
Die Luisenquelle in Bad Alexandersbad
Schloss Alexandersbad um 1800 – koloriert (Jean-Paul Museum Joditz)
Schloss Alexandersbad um 1800 – koloriert (Jean-Paul Museum Joditz)

Wir kommen nun auch am Schlösslein vorbei, so nenne ich das Markgräfliche Schloss. Noch einmal die große Markgrafenstraße überqueren, dann sind wir schon auf der Luisenburgallee, auf dem Königin-Luise-Weg und jetzt auch Jean-Paul-Weg. Jean Paul meets Königin Luise.

Mit Jean Paul und Königin Luise auf dem Poetenweg

Die Allee ist eine breite, feste Promenade durch den Wald, schnurgerade, rechts und links mit einem schmalen, sanften Fußpfad bebändert. Es geht immer leicht bergan. Hier wandelte man zu Königin Luisens Zeiten vom Kurpark hin­auf zur Luxburg mit dem gewaltigen Felsengewirr. Herrlich zu gehen an Sonntagnachmittagen, anderen wandelnden Menschen zu begegnen und zu plaudern, sich gegenseitig zu bewundern und dann übereinander lustvoll zu lästern. Herrlich!


Jedenfalls, der Weg ist schön. Da säumt ein Springbrunnen rechts, hier eine Muttergottesstatue links, mit zwei brennenden Kerzen beehrt. Sie muss heute, am Tag ihrer Himmelfahrt, auch nicht allein sein.

Jedenfalls, der Weg ist schön, da säumt ein Springbrunnen rechts, hier eine Muttergottesstatue links, beehrt mit zwei brennenden Kerzen. Sie muss heute, am Tag ihrer Himmelfahrt, auch nicht allein sein.

 

Als wir oben angekommen sind, fällt Peter auf, dass er sein Handy im Auto vergessen hat. Wir brauchen es dringend, da es sein kann, dass doch irgendein Sender anruft und ein Kamerateam benötigt. Wir können es uns nicht leisten, auch nur irgendeinen Job abzusagen. Notfalls werden wir die Wanderung unterbrechen. Wäre ok. 

Außerdem müssen wir am Ende jeder Etappe schauen, wie wir wieder nach Hause kommen, Busfahrpläne durchforsten oder ein Taxi rufen. Also, wir brauchen das Handy dringend. 

 

Und weil heute so ein schöner Tag ist, erkläre ich mich bereit, für Peter das Handy aus dem Auto zu holen. Den ganzen langen Weg noch einmal nach unten und wieder hinauf.

Die Belohnung für meine Aufopferung folgt prompt. Ein Eichelhäher, ich erkenne ihn an seinen blau und schwarz gezeichneten Flügeln, begleitet mich, hüpft vor mir von Ast zu Ast, wartet auf mich – bilde ich mir ein – und fliegt dann wieder voraus. 

 

Auf dem Rückweg dann geht mir langsam die Puste aus. Da denke ich mir, du könntest doch einfach kleinere Schritte machen, so wie beim Fahrrad, Gänge runterschalten. Aber das ist Quatsch, merke ich schnell. Bergauflaufen geht in die Muskeln, egal ob große oder kleine Schritte. Ist tatsächlich gehupft wie gesprungen.

 

Überall duftet es nach Harz, wie in Italien, in den Pinienwäldern im Sommer. Weiter hinten, auf einer Lichtung, erkenne ich Waldarbeiter, wie sie auf Baumstämmen sitzen und rauchen. Kinder auf schicken Mountainbikes strampeln sich auf dem nebenliegen­den Pfad hoch, um auf dem Sträßchen in der Mitte wieder jauchzend hin­unterzusausen.

 

Heute könnte ich einfach nur ein Tag sein. Gar nicht mehr ich. So kugel­rund ist alles um mich herum … und kullert kichernd zur Stationstafel 61.

Der Tod auf der Lebensbühne

 

Der Tod ist der eigentliche Schauspieldirektor und Maschinenmeister der Erde. Er nimmt einen Menschen wie eine Ziffer aus der Zahlenreihe vorn, mitten, oder hinten heraus und siehe, die ganze Reihe rückt in eine andere Geltung zusammen.

 

Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«

 

 

Es gibt schauerliche Dämmeraugenblicke in uns, wo uns ist, als schieden sich Tag und Nacht – als würden wir gerade geschaffen oder gerade vernichtet – das Theater des Lebens und die Zuschauer fliehen zurück, unsre Rolle ist vorbei, wir stehen weit im Finstern allein, aber wir tragen noch die Theaterkleidung, und wir sehen uns darin an und fragen uns: »Was bist du jetzo, Ich?« – Wenn wir so fragen: so gibt es außer uns nichts Großes oder Festes für uns mehr – alles wird eine unendliche nächtliche Wolke, in der es zuweilen schimmert, die sich aber immer tiefer und tropfenschwerer senkt – und nur hoch über der Wolke gibt es einen Glanz, und der ist Gott, und tief unter ihr ist ein lichter Punkt, und der ist ein Menschen-Ich. –

 

Jean Paul »Siebenkäs – Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs«

 

 

Sobald wir anfangen zu leben, drückt oben das Schicksal den Pfeil des Todes aus der Ewigkeit ab – er fliegt so lange, als wir atmen, und wenn er ankommt, so hören wir auf. »O stürben wir doch auch so alt und lebenssatt wie unser Jubel-Greis!« sagen dann diejenigen, deren Pfeile noch fliegen.

 

Jean Paul »Dr. Katzenbergers Badereise; nebst einer Auswahl verbesserter Werkchen«, 

Satire, 1807/08 entstanden, 1809 erschienen

Auf dem Königin-Luise-Weg und auch Jean-Paul-Weg zur Luisenburg
Auf dem Königin-Luise-Weg und auch Jean-Paul-Weg zur Luisenburg

Hier ist nicht unser Ende. Wir dürfen noch rasten. Am Wegesrand erwartet uns eine muntere Quelle und sprudelt uns eine weitere Strecke unbewölkten Lebens in die Hand, … 

… versetzt mit wertvollstem, purestem jeanpaulischen Elixier, wunderbar zu erlesen  Stationstafel 62.

Romantik

 

Aber wo geht jetzt unser Jüngling mit seinen Träumen? – Noch auf der romantischen einleitenden Straße nach Lilar, eigentlich dem ersten Gartenwege desselben. Er wanderte auf einer belaubten Straße, die sanft auf Hügel mit offnen Baumgärten in gelbblühende Gründe stieg und die wie der Rhein sich bald durch grünende Felsen voll Efeu drängte, bald fliehende lachende Ufer hinter den Zweigen auftat. Jetzt wurden die weißen Bänke unter Jesminstauden und die weißen Landhäuser vielfältiger, er kam näher, und die Nachtigallen und Kanarienvögel Lilars streiften schon hierher, wie Land ansagende Vögel. Der Morgen wehte frisch durch den Frühling, und das zackige Laub hielt noch seine leichten ätherischen Tropfen fest. Ein Fuhrmann lag schlafend auf seinem Leiterwagen, den die rechts und links abrupfenden Tiere sicher auf dem glatten Wege zogen. Albano hörte am stillen Sonntage nicht das Feldgeschrei der drängenden Arbeit, sondern die Ruhe-Glocken der Türme; im Morgengeläute spricht die zukünftige, wie im Abendgeläute die vergangene Zeit; und an diesem goldnen Alter des Tages stand auch eines in seiner frischen Brust. –

 

Jean Paul »Titan«

Roman, 1800–1804 in vier Bänden erschienen. Er umfasst ca. 900 Seiten und erzählt die Bildungsgeschichte des Helden Albano de Cesara vom leidenschaftlichen Jüngling zum gereiften Mann

Und jetzt kommt ein »Helfrecht«. Ich weiß es auch nicht.

Er gehört zum Weg, also hier auch seine Station, 6. Tafel »Landschaft zu Jean Pauls Zeiten«.

Wo ist der Ausblick?

Der Lehrer von Jean Paul, Th. Helfrecht, hat das Fichtelgebirge um 1800 beschrieben. Es lässt Einblicke zu, wie sich die Landschaft seit dieser Zeit verändert hat.

 

»Der Abfallbrunnen kommt auf der Luisenburg bei dem Margaretenstein aus dem Felsenstücke, das einem Backofen ähnlich ist, einer kleinen Felsenhöhle selbst aus der Seite hervor und liefert sein helles frisches Wasser durch ein kleines Röhrchen. Er scheint aus den sumpfigen Plätzen, die sich weiter oben über den Felsen befinden, hervorzurinnen. Man nennt ihn auch vermutlich mit der Verfälschung des Namens, den Apfelbrunnen. Einen anderen unter dem Walde, um ein Gegenstück zu haben, den Birnbrunnen.«

 

»In das Reizende mischt sich aber auch das Groteske, wenn man oberhalb des Dorfes Breitenbrunn auf die gegenüberliegenden Berge blickt. Vom Pfeiferberge bis zur Luxburg findet sich ein Abhang, welcher mit den Felsenbergen herabrollende Granitblöcke übersät ist.«

Wenn Vorfreude eine Art Ausblick ist, dann habe ich ihn jetzt! Denn wir sind da!

Wir sind so aufgeregt, dass wir vor dem Kassenhäuschen nur schnell die Stationstafel 63 fotografieren …

Auf dem Jean-Paul-Weg  bei der Luisenburg mit Felsenlabyrinth – Stationstafel 63 »Luisenburg«
Auf dem Jean-Paul-Weg bei der Luisenburg mit Felsenlabyrinth – Stationstafel 63 »Luisenburg«

Luisenburg

Am 14. Juni 1805 wurde die Luxburg anlässlich des hohen Besuches der preußischen Königin Luise und ihres Gemahls zu ihren Ehren in Luisenburg umbenannt.

Für dieses Fest dichtete Jean Paul ein kleines rezitatorisches Festspiel (Wechselgesang der Oreaden und Najaden, der Berg- und Wassernympfen), das am Nachmittag mit musikalischer Untermalung zur Aufführung kam:

 

Chor der Oreaden und Najaden

Seid gegrüßt den Geistern der Berge und der Ströme!

Die Ruine blüht vor Euch,

Blumen opfert das Gebirg’!

Der Berg wird zum Throne durch Ihn,

der Thron ein Olympos durch Sie,

 

Oreaden

Deinem Adler gebührt die Höh’,

unser verlieh Dir ihn

mit Klauen voll Frühlingsgewitter,

um die Fluren zu segnen,

um die Feinde zu treffen.

 

Najaden

Wir bewohnen nur vier kleine Flüsse.

Denn das Meer gebar die schönste Göttin,

zum Meere eilen die Flüsse,

doch auch die Welle schafft die Göttin;

und ihr Diamant

faßt das göttliche Bild;

unsere vier Ströme spiegeln Anadyomene

als vier Schwestern zurück.

 

Eine Oreade

(Veränderte Musik)

Ich besiege die Nympfen der Berge und Flüsse:

ich sende aus der Tiefe

statt Goldes die Heilquelle ins Tal

und die Erhabenen weilen am längsten bei ihr.

 

Die Najade der Saale

Ich besiege dich:

ich begleite sie am längsten in Ihr Reich

dann eilet meine Götterschwester mir

von seinem Riesengebirg’ entgegen,

und umarmend tragen wir des deutschen

Königes Schiffe in das deutsche Meer.

 

Chor der Oreaden und Najaden

Wir sind alle gleichzeitig,

denn Sie sind bei uns.

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Und dann tauchen wir ein, in das größte Granitsteinmeer Europas

Wir waren ahnungslos, was das Felsenlabyrinth betrifft. Als Kamerateam hatten wir schon öfter Be­richte über die Freilichtbühne Luisenburg gedreht – sie ist immerhin die älteste und schönste Naturbühne Deutschlands – haben aber damals immer nur die Hinweisschilder »Felsenlabyrinth« und das Kassenhäuschen wahrgenommen, nicht das, was sich dahinter verbirgt. Heute wissen wir, dass es wirklich etwas Spektakuläres ist. 

Jetzt sind wir tatsächlich drin! Ich leine Fidel an und warte noch auf Peter. Aber schon gleich am Anfang gabelt sich der geführte Felsen-Pfad und ich weiß nicht, ob rechts oder links, überall sind blaue und rote Pfeile auf die Steine gemalt, ein paar Kinder schnattern:

»Den blauen Pfeilen müssen wir nach, nicht die roten, nicht die rooooten! Die geh’n runter!«

»Oaaa, schau mal …!«, ruft der andere und schon sind sie an mir vorbei­gezogen.

Peter kommt nach. Und ich entdecke noch mehr Pfeile.

»Da sind aber auch gelbe, was ist mit denen?«, frage ich Peter, aber der hat keinen Plan. 

 

Wir folgen den gelben. 

Eine kleine Gruppe mit Touristenführer läuft vor uns her, verweilt jedoch bei großen Pilzen, die auf den Felsen wachsen. Der Referent, jetzt einen Pilz in der Hand haltend, erklärt etwas, ich kann aber nichts verstehen. Wir nutzen die Gelegenheit und überholen sie – und stecken dann erst einmal in einem »gelben Pfeil« – einem sehr engen Felsdurchgang – fest.

Im Felsenlabyrinth – zwischen den Felsen geht es hindurch …
Im Felsenlabyrinth – zwischen den Felsen geht es hindurch …

Aber nur vorübergehend. Mit gegenseitigem Drücken und Ziehen können wir uns wieder befreien.

Im Felsenlabyrinth – Peter kam durch
Im Felsenlabyrinth – Peter kam durch

Was nun folgt, ist ein einziges Klettern und Zwängen. Staubige Schultern, Arme und Bäuche auch. Oft muss ich sogar den Rucksack abnehmen, weil ich sonst nicht mehr herauskommen würde.

Und immer wieder: »Heiliger Bimbam, ist das schön!« Wir müssen durch Felsspalten steigen, wo man nie denken würde, da ginge es hindurch. Peter kämpft gegen Klaustrophobie. 

Nebenan erklimmen ein paar Jungs Felsblöcke, verschwinden hinter ihnen und tauchen auf anderen wieder auf. Die Mutter, gerade den Klauen des Granits entkommen, ist genervt: »Du kommst jetzt sofort da runter!«

»Wir haben ne ganz coole Höhle gefunden!«, versucht der Sohn die ganze Sache in seinem Sinn zu beeinflussen.

»Wir müssen gehen, Paul! Jetzt aber!«

Schon wieder ein Paul! Das kann doch kein Zufall sein, denke ich mir. 

 

Auf den Felsen finde ich viele Zitate berühmter Dichter eingehauen. Bis jetzt haben wir noch keine von oder über Jean Paul gefunden. Gerade jetzt fällt’s mir auf.

 

Fidel, mit seinem »Allradantrieb«, ist an seiner langen Roll-Leine immer weit voraus, bleibt stehen, blickt zurück und scheint verwundert zu fragen: Wo bleibt ihr denn? 

Fidel springt leichtfüßig durch das Felsenlabyrinth
Fidel springt leichtfüßig durch das Felsenlabyrinth

Also, hier kann nicht jeder durch. Das ist eine harte Konfrontation mit der eigenen Leibesfülle. Und die Frisur versaut’s auch.

Das Felsengewirr ist ein Gedanken-Landschaftsgarten

Man muss immer wieder stehen bleiben, verschnaufen, lässt die Blicke schwei­fen und fragt sich, wie sind die Felsen hierhergekommen? Wer hat da mit übermächtigen Steinkugeln gekegelt? Oder seit wie viel Jahrmillionen liegen die schon da?

Einen Landschaftsgarten soll das hier darstellen? Wer oder was soll denn in der Lage gewesen sein, die hübschen Steine so verspielt hier hin­drapiert zu haben? Gerade so, dass es für die Aussicht passt. Das waren die Götter, meine ich. So behält man immer recht. 

 

Göttlich und odisch ist die Umgebung, wahrlich! Ich könnte jauchzen. Mir schenkt all das große Freude. Die kleinen Nervenkitzel halten mich in Schwung. Wie geht es weiter? Wo geraten wir hin? Nur ein Teufel kann hier wohnen.

 

Nein, Gräber sind das! Wo untote Seelen nächtlich durch die Schluchten heulen, sich in unseren Haaren verfangen und uns hinabzuziehen trachten.

 

Iwo, ein Olymp ist das! Jeden Abend tauchen tausend Sonnen einsame Helden in güldenes Licht, umkränzen sie mit Sternen-Unsterblichkeit auf diesem immerewigen Fels.

 

Quatsch, ein einzig lieblich Liebesnest! Für Liebende, die noch verborgen sein wollen, wurde dieser Ort geboren. Sich necken, nur mit den Augen, benetzen, allesduftend, sich vernehmend, berauschen, ein ganzes Zauberreich nur in Gedanken. Rate, wo bin ich?

Oben angelangt, findet man einen großen, schattigen Rastplatz
Oben angelangt, findet man einen großen, schattigen Rastplatz

Ist alles so andächtig! Ich mag gar nicht mehr über Granitblöcke und Fels­formationen schreiben. Sollen andere es tun. Für mich sind sie einfach schön, so ver­wunderlich, manchmal witzig. Welch’ schöpferische Meisterleistung Zufall Natur hier vollbracht hat. Kein noch so genialer Landschaftsgärtner könnte etwas Ebenbürtiges schaffen.

Und nein, es sind nicht nur ein paar Felsen, die zu bestaunen sind, es sind so viele auf einem Haufen, dass man gar nicht fertig wird. Wir waren den gan­zen Mittag im Labyrinth und dabei ständig beschäftigt mit Klettern, Kraxeln, Keuchen und Schauen.

 

Dann endlich sind wir oben angelangt. Ein schattiger Rastplatz mit vielen Tischen und Bänken wartet schon auf uns. Man rechnet offensichtlich mit zahlreichen Besuchern. Gerade erobert eine Familie den Platz. Kinder laufen um die Tische.

»Wo sollen wir hin, Mama?«

»Im Schatten eines Felsens ist es dichter, als im Schatten eines Baumes …«, lautet ihre Antwort. Interessant.

 

Wir trinken Wasser und Fidel auch. Er ist ganz schön durstig. Dann geht es bergab zurück. Dieses Mal dürfen wir den roten Pfeilen folgen. Aber sogleich müssen wir wieder steil nach oben. Per Holztreppe gelangt man auf einen Felsen, auf dem ein kleiner Pavillon und ein großes Kreuz steht. Das muss der höchste Aussichtspunkt sein.

 

Ich zögere noch ein wenig, traue mich nicht hinauf. Da überholen mich drei betagtere Herren, einer mit einem Höhenmesser in der Hand. Er konstatiert im tiefsten rheinischen Dialekt: »Siemhundertfünfunvierzisch Meter hamm wer schon.«

»Keine Angst, dat werden noch locker siemhundertfufzisch!«, sagt der zweite. 

An anderer Stelle im Labyrinth befindet sich, ebenfalls auf einem Fels thronend, eine künstliche Ruine. Dort herrscht so viel Andrang, dass man warten muss, bis Besucher wieder herunterkommen und den Platz frei machen. Während des Wartens kann man in eine Schlucht hinuntergucken, über die ganze Baumstämme hinge­worfen scheinen.

Oben, in der Ruine, ist ein Fenster eingelassen, durch das man, wie ein­gerahmt, in die Landschaft schauen kann.

Gerade kommt eine Familie, dieses Mal mit größeren Kin­dern. Die jugend­liche, sehr hübsche Tochter bittet ihren kleinen Bruder, mit dem Handy ein Foto von ihr zu machen.

»Ja, daaahh musst du draufdrücken, nuuur draufdrücken!« Dann setzt sie sich ins Ruinenfenster, in eine Art romantische Pose, und schaut hauchend schön und träumerisch.

»Noch eins, mach’ noch eins!«, ruft sie ihrem Bruder zu und wechselt die Pose.

 

Ich würde mich sofort in sie verlieben! Ich denke an einen Schwur, den ich, als ich genau so jung war, an mich selbst geleistet hatte: »Allein das Gefühl der Liebe soll mir für immer genug sein!« Das musste ich mir ja damals auch schwören, denn der Angeschwärmte nahm mich absolut nicht wahr. Ob Liebe und Küsse oder Tränen und Sehnsucht, egal. Hauptsache Romantik!


Wir steigen immer tiefer ins Labyrinth, dann wieder hinauf und wieder hinunter, reisen mit einem Schiff zur Insel Helgoland, sehen den Zuckerhut, nehmen ein Duschbad, finden eine Diamantquelle, staunen vor leuchtendem Moos und schluchzen in der Tränengrotte. Jede Felsformation wurde feierlich getauft. Wir brauchten wirklich den ganzen Nachmittag. So viel Zeit sollte man sich auch unbedingt nehmen.

Das Ende ist nun in Sicht, wir erkennen unten das Kassenhäuschen wieder. Auf den letzten riesigen glatten Felskolossen rutschen quieksend ein paar Kin­der herum. Hier, ihr Götter, das wäre euer Bild! Habe leider etwas zu spät abgedrückt.

Im Felsenlabyrinth –Kinder rutschen die Felsen hinunter
Im Felsenlabyrinth – Kinder rutschen die Felsen hinunter

Wir sind satt. Voll. Müde. Glückselig. 

 

Vor dem Kassenhäuschen fällt mir noch ein, dass ich ein paar Postkarten kaufen und nach einem Labyrinth-Führer fragen wollte. Ein älterer Mann spricht schon etwas länger mit der Dame hinter dem kleinen Tresen. Er unterbricht seine Unterhaltung, um mir Platz zu ma­chen. Von der Dame werde ich dann reichhaltig mit Material versorgt, und zum Schluss packt sie mir noch ein anderes größeres Prospektbuch obendrauf. 

»Das schenke ich Ihnen», sagt sie zu mir, und ich freue mich. »Das ist ja nett! Das passt auch gut, denn ich hab’ heute Geburtstag!«, lasse ich sie wissen.

»Oh, das ist ja ein Zufall. Der Herr neben Ihnen auch!«, antwortet sie.

Die Begegnung

Ich drehe mich um. 

»Oh«, staune ich und will eigentlich zu ihm sagen, dass uns Geburtstagskindern diese Begegnung Glück bringen würde, komme aber nicht dazu. Schon gleich gratuliert er mir per Handschlag und zieht seinen Ausweis aus der Tasche, um ihn Peter zu zeigen. Warum, verstehe ich nicht.

»Hier, sehen Sie, da steht es, 15. August.«

Der Herr ist älter als ich, vielleicht Rentner, spricht Hochdeutsch und ist wahrscheinlich kein Tourist, denn er schien die Dame an der Kasse gut zu kennen. Ich will noch dauernd sagen, dass uns dieser Zufall Glück bringen würde, aber ich komme einfach nicht dazwischen, denn er wünscht mir unentwegt alles Gute in meinem Leben.

Er steigert sich immer mehr in die ganze Sache hinein, würde am liebsten eine Flasche Sekt aufmachen und mir eine von seinen geräucherten Rehkeulen schenken. Er hätte nämlich eine Jagd, und er kenne jemanden, der Wild räuchert.

»Das ist eine ganz feine Sache, verstehen Sie? Ich schicke diese Rehkeulen zu Freunden nach Amerika …«

Und nicht nur dorthin. Er zählt alle Länder auf, eines nach dem anderen, und schließt mit dem Satz: »Ja, was sage ich, um die ganze Welt!«

Man weiß es ja schon, ich mag keine Jäger. Lache ihn aber an, weil mein Tag schön bleiben soll, und ich sage nur: 

»Herrlich!«

Damit fühlt er sich wohl bestätigt und ist nun nicht mehr zu bremsen. 

»Ich habe ja so viel Wild, und wissen Sie, das ergibt so viele Freunde, und die kommen mich alle besuchen und bringen auch ihre Freunde mit. Jetzt habe ich eine alte Mühle gekauft, die will ich herrichten lassen. Da gibt es dann genug Gästezimmer für all die Freunde. Ach ja, ich blase auch Waldhorn und da kommen ja noch die Bläser hinzu. Die besuchen mich heute Abend und blasen mir ein Ständchen …«

Ich: »Herrlich!«

Er: »… Ja, wir blasen dann zusammen und essen hinterher köstlichen Wildbraten …«

Ich: »Feiern Sie denn einen runden Geburtstag?«

Er: »Nein, erst nächstes Jahr. Heuer werde ich 64, nächstes Jahr gehe ich in Rente. Wissen sie, ich bin Meeresbiologe und in der ganzen Welt herum­gekommen. Und das mit der Jagd, da ist ja auch noch Afrika! Allein schon die Reisen und die Jagden dort bringen ja so viele Freunde, der Geheimrat und der Kommerzienrat (Namen habe ich vergessen, vielleicht stimmen die Titel auch nicht, aber es klang so danach) sagen das auch immer. Die schätzen die Reh­keulen besonders und ordern gleich welche für ihre Freunde mit. Ich könnte allein schon damit Geld verdienen. Also ich wüsste schon, wie es nach der Rente weiterginge …«

Ich: »Herrlich!«

Er: »Ja, und meine Frau kommt ja aus der Gastronomie und mein Sohn, der ist Sterne-Koch in München …«

Ich: »Herrlich!«

»Und was machen Sie?«, fragt er plötzlich. 

Wir stammeln etwas, haben keine Lust, aus unserem immer kleiner wer­denden Leben zu erzählen.

Da sagt Peter rettenderweise:

»Wir gehen den Jean-Paul-Weg, von Joditz bis nach Sanspareil.«

Er: »Oh, meine Jagd grenzt genau an Joditz!«

Ich verzweifle, erfinde schnell etwas: »Äh … der Hund drängt …«

Drängte ein Hund? Ich weiß es nicht, ich will weg. Wir gehen dann auch. Er ruft noch lange gute Wünsche hinter uns her. 

Als er außer Hörweite ist, sage ich zu Peter:

»Der braucht kein Glück mehr, der hat es schon.«

Sonnenuntergang bei Leupoldsdorf am 15. August 2012
Sonnenuntergang bei Leupoldsdorf am 15. August 2012

Dann gibt es Gegrilltes im Biergarten des Hammerschlosses in Leupoldsdorf. So liebe Leute sind hier. Die grüßen immer lachend, man spürt, dass sie sich über daseiende Menschen freuen. So ist wohl Arkadien.

 

Mein Geburtstag war doch einer der schönsten überhaupt!

 

 

 

PS:

Ich glaube, die Ode für Königin Luise – eigentlich für das Königspaar – war nicht gerade Jean Pauls größtes Werk. Man überliest sie schnell und versteht auch nichts. Warum soll man versuchen, etwas so Unendliches, wie es ein Meer aus Felsen ist, oder auch nur irgendwelche Flüsse zu beoden. Es war ja nur ein verzweifelter Versuch, das jetzt anwesende Königspaar zu einer mickerigen Rentenzahlung zu bewegen. Jean Paul brauchte dringend Geld

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