1. Begegnung mit Stationstafel 107

Auf dem Rodersberg bei Bayreuth – Jean Paul und Pudel Fidel warten schon lange auf uns.
Auf dem Rodersberg bei Bayreuth – Jean Paul und Pudel Fidel warten schon lange auf uns

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Auf dem Rodersberg bei Bayreuth


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Die Begegnung ereignete sich irgendwann im Winter des Jahres 2012. Es war ein wun­der­voller Januar. Erst schneite es reichlich dicke Flocken aus grauen Wolken, dann öffnete sich das Firmament und übergab klirrender Kälte das Wetter­zepter. Für eine ganze Weile überzogen nun weißglitzernde Schneedecken die Höhen und knirschender Pulverschnee sonnte sich unter jauchzend blauen Himmeln. Da will man nur noch hinaus.

Wir kannten einen schönen Weg. Er liegt auf einem Berg und war perfekt für eine kleine Wanderung mit Pudel im Schnee, mit herrlicher Aussicht auf Bay­reuth und untergehender Sonne im Westen. Mitten über den Golfplatz auf dem Rodersberg führt er, und deshalb, weil auf dem Green kaum ein Baum steht, hat man weithin freie Sicht und volles Licht.

 

Ja, wir hatten einen kleinen weißen Pudel namens Fidel. Er war damals elf Jahre alt und ein Abgabehund. Er kam zu uns, als er zehn war. Fidel liebte Schnee. Beim Herumtollen bildeten sich in seinem Fell überall kleine Schneebälle, die immer größer und schwerer wurden, sodass er von Zeit zu Zeit von ihnen befreit werden musste, was wir gerne taten.

 

Himmel, was für ein schöner Tag! Wir atmeten tief und riefen vor lauter Freude in die Weiten. Das neue Jahr war noch jung und verheißungsvoll. 

»Schau’ mal, Peter, da steht ein Schild!«, sagte ich zu meinem Mann. »Was ist denn das?«

»Hm. Vielleicht ein Verbotsschild oder nur ein Hinweisschild«, antwortete Peter.

Wir gingen hin und lasen.

Science Fiction – Im Jahre 100 000 (Teil 3)

 

Wenn man die Wolken so richtig wie kürzere Sonnenfinsternisse prophezeien kann, Schwanzsterne ohnehin; und wenn die Flora und Fauna im Monde so gut bearbeitet ist als die Länderkunde des Abendsterns –

Wenn alle Raffaele verwittert, alle jetzigen Sprachen gestorben, neue Laster und alle möglichen Physiognomien und Charaktere dagewesen, die Zartheit und Besonnenheit und Kränklichkeit größer, die Hohlwege zehnmal tiefer und die tiefsten Wahrheiten platte geworden –

Wenn Flotten von Luftschiffen über der Erde ziehen und alle griechischen Futura durchkonjugiert –

Wenn alles unzählige Male dagewesen, ein Gottesacker auf dem anderen liegt, die alte runzlichte graue Menschheit ein Jahrtausend nach dem anderen vergessen und nur noch, wie andere Greise, sich ihrer schönen Jugendzeiten in Griechenland und Rom erinnert und der ewige Jude, der Planet, doch noch immer läuft – –

Sag an, o bleicher Jüngling, wann schlägt es in der Ewigkeit 12 Uhr, und die Geisterstunde der Erd-Erscheinungen ist vorbei?

 

Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht (1801)

»Was ist das?«, rätselte ich. »Verstehst du das?«

»Hm«, antwortete Peter.

»Aber – was da steht, irgendwie stimmt das doch«, meinte ich, »genau so isses!«

 

Diese Worte, die völlig unvermittelt auf einer Tafel, ein­sam und wie verloren in weiter Land­­schaft, geschrieben stehen, scheinen geduldig auf ihre Leser zu warten. Mich zogen sie in etwas hinein, das traurig war. Aber seltsamerweise weilte auch etwas Geborgenes darin, dort unten. Etwas Be­kanntes, etwas wie ein Freund, der sich ebenfalls nach dem Ende von etwas Schrecklichem sehnte. Als würde er – ja, fast mit uns – flehen: wann denn, wann es denn endlich vorbei sei mit diesem Wahn­sinn?

 

»Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht?«, las ich leise. »Was ist damit gemeint?«

»Hm«, sagte Peter wieder, »keine Ahnung.«

»Das muss ja jemand geschrieben haben. Sonst würde es nicht da stehen. Und warum steht es gerade hier?«

»Scheint ein Wanderweg zu sein. Schau, Station 107 ist das«, Peter studierte die Tafel ausführlicher: »Jean-Paul-Weg. Da gibt es einen Weg. Und da läuft er lang.« Er zeigte auf die Karte, die man zum besseren Verständnis mit auf die Tafel gedruckt hatte.

»Aha. Jean Paul? Da war doch was?«, der Name kam mir bekannt vor.

»Ein Dichter, aber kein Franzose, der heißt nur so«, wusste Peter.

»Also, der Text da haut mich jetzt um. 1801. Wie kann einer 1801 wissen, was heute los ist? … ›Wenn Flotten von Luftschiffen‹ … oder … ›alle jetzigen Sprachen gestorben‹ … das ist ziemlich modern!«

 

Wir sprachen noch lange über die am Wegesrand gefundenen Worte. Sie schienen uns etwas zuzuwinken.

»Eigentlich könnte ich weinen«, sagte ich noch. »Muss mal gucken, wer das ist, Jean Paul.«

Fidel drängte uns weiter. Ein Pudel friert leicht. 

Unser Leben zu dieser Zeit

Für eine kurze Weile hatte ich Jean Paul und seine Sätze vergessen. Der Alltag holte uns ein. Ach, was heißt Alltag? Ein Alltag wäre schön gewesen. Peter ist Kamera­mann und ich bin eigentlich Filmemacherin. Zusammen führten wir eine kleine Filmproduktionsgesellschaft mit eigener Technik. Klingt lustig, ist es aber nicht. Jeder Selbstständige, der für seine Firma in teu­re Technik investieren muss, die zudem noch rasant an Wert verliert, wird mir zustimmen, dass das einen alle Kräfte verzehrenden und nie auf­hörenden Kampf um die Existenz bedeutet. Und Peter kämpfte wie ein Sol­dat, ich war schon lange am Zusam­men­brechen. Diese ständige Angst hat bei mir ihre Spuren hinterlassen. Das Schlimmste war, dass ich überhaupt nicht mehr schlafen konnte. Also, nicht wenig oder schlecht schlafen, sondern nächtelang gar nicht. Bei Dauerstress lässt sich der Adrenalinpegel ein­fach nicht mehr senken. So wurden meine Nerven immer dünner und ver­schwan­den gänzlich.

 

Deshalb kam ich vor einem Jahr auf die Idee mit dem Pudel. Ich liebe Tiere. Und ich wusste, sie könnten mir helfen. Mit einem Hund müsste ich mehrmals täglich Pau­sen machen, mit ihm spazieren gehen, Tag für Tag, Jahreszeit für Jahreszeit. Im­mer wieder Landschaften neu zu entdecken, das wär’s. Spazierengehen hat mich schon immer erquickt und getröstet.

 

Und so kam es 2012 zu diesem Spaziergang zu dritt durch die wundervolle Schneelandschaft mit der ihr innewohnenden Botschaft von Jean Paul. Und diese Begegnung sollte mir nicht mehr aus dem Sinn gehen. Immer wieder musste ich an die Worte dieses Dichters denken. So viel Wärme war in ihnen, und ich wusste nicht, warum.

Da drängte die Frage: Wer ist Jean Paul?

Natürlich las ich nach: Jean Paul wurde als Johann Paul Friedrich Richter 1763 in Wunsiedel geboren und starb 1825 in Bayreuth. Er war der Sohn eines Pfarrers und Organisten. Als der Vater starb, stürzte seine Familie in große Armut. Dennoch wurde aus dem kleinen Johann ein gefeierter Dichter. Seinerzeit war er sogar noch berühmter als Goethe und Schiller. Überliefert ist vor allem auch Jean Pauls große Liebe zum fränkischen braunen Bier.

 

Jean Paul hat die »Flegeljahre« geschrieben. »Flegeljahre«, das sagte mir etwas. Den Titel kannte ich. Ich hielt ihn aber immer für einen Filmtitel aus der Zeit des Autorenkinos. Peinlich genug. Peter musste lachen.

»Hilde, das wusstest du nicht? Das Buch haben wir selbst. Hier!«

Ein Griff ins Regal und Peter legte es mir auf den Tisch. Es war in orangefarbenes Leinen gebunden und hatte ein paar Wasserflecken. Es war wohl ein Flohmarktmitnehmsel für 50 Cent.

 

Am selben Abend, im Bett, las Peter mir vor. Vielleicht würde das helfen, einzuschlafen. Fidel, am Fußende liegend, tat es schon. 

»Ich fang’ dann mal an, ja?«

»Ja, fang’ nur an.«

»… Solange Haßlau eine Residenz ist, wußte man sich nicht zu erinnern, daß man darin auf etwas mit solcher Neugier gewartet hätte – die Geburt des Erbprinzen ausgenommen – als auf die Eröffnung des Van der Kabelschen Testaments. – Van der Kabel konnte der Haßlauer Krösus – und sein Leben eine Münzbelustigung heißen, oder eine Goldwäsche unter einem goldnen Regen, oder wie sonst der Witz wollte. Sieben noch lebende weitläuftige Anverwandten von sieben verstorbenen weitläuftigen Anverwandten Kabels machten sich zwar einige Hoffnung auf Plätze im Vermächtnis, weil der Krösus ihnen geschworen, ihrer da zu gedenken; aber die Hoffnungen blieben zu matt, weil man ihm nicht sonderlich trauen wollte, da er nicht nur so mürrisch-sittlich und uneigennützig überall wirtschaftete – in der Sittlichkeit aber waren die sieben Anverwandten noch Anfänger –, sondern auch immer so spöttisch dareingriff und mit einem solchen Herzen voll Streiche und Fallstricke, daß sich auf ihn nicht fußen ließ […] … kommst, du noch mit, Hilde?«

»Lies nur weiter.«

»… Dritte Klausel: Ausgenommen gegenwärtiges Haus in der Hundsgasse, als welches nach dieser meiner dritten Klausel ganz so, wie es steht und geht, demjenigen von meinen sieben genannten Herren Anverwandten anfallen und zugehören soll, welcher in einer halben Stunde (von der Vorlesung der Klausel an gerechnet) früher als die übrigen sechs Nebenbuhler eine oder ein Paar Tränen über mich, seinen dahingegangenen Onkel, vergießen kann vor einem löblichen Magistrate, der es protokolliert. Bleibt aber alles trocken, so muß das Haus gleichfalls dem Universalerben verfallen, den ich sogleich nennen werde. Hier machte der Bürgermeister das Testament zu, merkte an, die Bedingung sei wohl ungewöhnlich, aber doch nicht gesetzwidrig, sondern das Gericht müsse dem ersten, der weine, das Haus zusprechen, legte seine Uhr auf den Sessionstisch, welche auf 11½ Uhr zeigte, und setzte sich ruhig nieder, um als Testaments-Vollstrecker so gut wie das ganze Gericht aufzumerken, wer zuerst die begehrten Tränen über den Testator vergösse. …is ja lustig!«, lachte Peter laut heraus.

»Lies weiter.« Ich wurde neugierig.

So kämpften wir uns durch die ersten Seiten und die vielen Nebensätze. Jean Paul ist schwer zu lesen, so viel sei gesagt. Ich bin dann bald eingeschlafen, aber erst nach Peter.

 

Wäre an dieser Stelle noch zu ergänzen: Gott sei Dank liebte er Bier, der Ausnahme-Dichter!

Jean-Paul-Weg – Station 37 »Rezept Heiterkeit und Freude« – Fidel liegt unter einer Stationstafel
Jean-Paul-Weg – Station 37 »Rezept Heiterkeit und Freude«

Der Weg zu Jean Paul

Durch Station 107 wussten wir, dass es einen Weg zu Jean Paul gibt. Das ist der Weg, der zu Ehren des Dichters geschaffen wurde. Der Jean-Paul-Weg. Er soll 200 Kilometer lang sein, durch seine Heimat von Hof über Wunsiedel nach Bayreuth und – bis fast vor unsere Haustür in Hollfeld – nach Sanspareil führen. Der Weg wird von 161 Stationstafeln mit Texten von und über Jean Paul begleitet. Es geht durch das Fichtelgebirge, an hohen Felsen und schönen Aussichten, an Mooren, Flüssen, Seen und kleinen Schlössern vorbei. Das eine oder andere Gasthaus soll locken und vor allem das darin wartende, gute, süffige fränkische Bier.

 

Es heißt, der Dichter selbst habe diese Strecken zu Fuß zurück­gelegt, immer wieder, denn er konnte weder reiten, noch hatte er Geld für teure Kutschfahrten. So kann man sagen, der Weg folgt quasi direkt den Spuren Jean Pauls. Das schien mir schon sehr interessant.

 

Die Zeit verging. Wir kämpften weiter in unserer kleinen Firma. Erst ging es wieder aufwärts, doch das war trügerisch. Die Sender sparten zusehends am Programm. Eine Entwicklung, die sich auch in Zukunft nicht ändern wird. Wie der Zickzack-Verlauf einer Börsen-Kurve, mal rauf mal runter, aber in der Tendenz abwärts fallend, so verhält sich der Zuliefermarkt in der Medien­branche. Schleichend sinken Honorare und Aufträge. Man selbst rödelt wie ein Berserker, aber sinnlos. Den Frühling über war Peter noch viel unterwegs. Ich arbeitete an einem Film über »Stottern«. Ein kompliziertes Projekt.

 

Fidel war gesund und munter. Aber eine Untersuchung ergab, dass er ein schwaches Herz hatte. Bei kleinen Hunden kommt das öfter vor. Also bekam er fortan täglich seine Herzpillen, phasenweise mit Leberwurst oder Wiener Würstchen verpackt. Weil Pudel nicht verfressen sind, muss man »verdächtige Medizin« in extrem guten Leckerbissen verstecken, sonst gelingt die Verab­reichung nicht.

  

Juni 2012. Das Altstadtfest von Hollfeld steuerte wieder unweigerlich auf uns zu. Da wir direkt am Markt wohnten, mussten wir jedes Jahr die bisweilen ausufernden nächtlichen Festivitäten über uns ergehen lassen. Remmidemmi bis zum Morgengrauen. Normalerweise wären wir ja selbst die besten Gäste bei solchen Vergnügungen, aber bei meinen nicht mehr vorhandenen Nerven war es besser, die Flucht zu ergreifen und die feiernden Hollfelder sich selbst zu überlassen. So kamen wir auf die Idee, an jenem Festwochenende ins nahe­ gelegene Fichtelgebirge auszuwandern, in irgendeine kleine Pension. Die gab es in Bischofsgrün. Wir hatten Glück, denn wir erhaschten ein Zimmer mit großartiger Aussicht auf einen Berghang mit Wiesen und alten Apfelbäumen. Dann gab es noch herrlichstes Unwetter und wir konnten vom Bett aus sehen, wie die Bäume sich im Sturm bogen. Der Wind pfiff ums Haus und Regen prasselte an die Fensterscheiben.

»Mach’ mal den Fernseher an, Peter«, sagte ich und schmiegte mich in die Bettdecke, »vielleicht kommt ja irgendwo ein schöner alter Film?« Fidel liebte solche Tage, an denen alle zu ungewöhnlichen Zeiten im Bett liegen. Denn dann hatte er beim Hunde-Dösen behaglichste Gesellschaft.

Es gibt immer eine Nacht der Nächte

Aber dann kam die Nacht. Sie wurde wieder eine Nacht des Martyriums, bei der Peter und Fidel schnarchten, und ich stundenlang wachen musste. Gegen drei Uhr trank ich aus Verzweiflung eine halbe Flasche Rotwein auf ex, in der Hoffnung, dass der Tilt-Mechanismus funktionieren würde. Er stellte sich nicht ein, der Plan ging schief. Ich verstand das nicht. Wie viel sollte ich denn noch »saufen«? Dann zählte ich Schafe. Aber da kam ich schon bei 800 an und war immer noch hellwach. 

 

Vier Uhr. Ich begann Pläne zu schmieden. Pläne schmieden ist immer gut, die lenken mich ab und machen Spaß. Nachteil ist nur, dass ich dann oft so be­geistert von den eigenen Plänen bin, dass ich vor Aufregung Herzklopfen kriege – also immer wacher werde. So war es auch in jener Nacht in Bischofsgrün.

 

Eigentlich waren wir schon lange nicht mehr in Urlaub gefahren. Die Sehnsucht nach einem Meer war riesengroß. Aber wie sollten wir das machen? Zwei Wochen wegfahren? Das wäre zu teuer. Ich sann nach anderen Möglich­kei­ten. Nach einem Weg, wie man auf einfachste Weise in eine andere Welt abtau­chen könnte. Ich wollte ein Feriengefühl von Weit-weg-Sein, oder ein Rettungs­­gefühl von Entronnen-sein-von-allen-Sorgen-und-aller-Hetze. Irgend so etwas wäre jetzt gut. Aber alles ohne größere Anstrengungen aufwenden, ohne grö­ßere Entfernungen überwinden und ohne größere Summen aufbringen zu müssen. Uns fehlte das Geld.

 

Fünf Uhr. Da kam mir die Idee: Es gibt doch hier einen Wanderweg, einen langen und geführten Weg durch benachbarte Gebirge und Landschaften. Wir könnten nahezu von zu Hause aus, etappenweise, diese Wanderung bewältigen. Nicht an einem Stück, sondern immer dann, wenn wir Zeit haben, wenn unser Geschäft es ermöglichen würde. Fidel könnten wir bei dem hiesigen Klima wunderbar mitnehmen. Wir könnten uns auf ein ganz neues Thema einlassen, eine neue Welt entdecken, sozusagen. Die Welt des Jean Paul! 

 

Sechs Uhr. Peter wird wach und schlappt zum Bad. »Mensch Hilde, schläfst du immer noch nicht?« 

»Peter, weißt du was?«

Der Plan war geschmiedet

Sofort war klar: Wir wollten noch in diesem Jahr den gesamten Jean-Paul-Weg gehen. Warum so schnell? Keine Ahnung. Wir wollten es nicht aufschie­ben. Vielleicht wäre es zu einem anderen Zeitpunkt nicht mehr möglich ge­wesen. Ich sollte recht behalten. 

 

Gleich schon im August würde es losgehen. Geschäftlich ist für uns jeder Sommer Saure-Gurken-Zeit. Da macht das Fernsehen Sommerpause und geht in die Ferien. 

Wie aber organisieren wir die Wanderung?

Sicher war: Wir wollten entspannt wandern. Auch Pudel Fidel war schon alt und vertrug nicht mehr so viel Stress. Bei täglich wechselndem Quartier hätte er sich jeden Abend neu orientieren müssen. Das mögen Pudel nicht. Sie sind an­hänglich und häuslich. Eine Ferienwohnung war die Lösung. Wir wählten einen Stützpunkt, der zentral zum Streckenabschnitt Joditz – Bayreuth liegt. Von dem aus wir morgens mit unserem Auto zum jeweiligen Etappenstart fahren und abends, am Ende der Etappe, mit Bus oder Taxi zum Auto zurückkehren konnten. Ziemlich uncool. Kann sein. War uns aber egal. Fidel wusste so, wo abends sein Gemach ist und wo sein Napf steht. Wir konnten das gesamte Fidel-Futter mit­neh­men. Wegen seiner Allergie kriegt er spezielle, tiefgekühlte Würste aus Fleisch­resten. Abends konn­ten wir für uns kochen und Klamotten waschen, und wir konn­ten Computer und Bücher mitnehmen und so manches im Auto depo­nieren, von dem wir uns einbildeten, es zu brauchen.

 

Aus unserer bisherigen Wandererfahrung – die ganz klein war – wussten wir schon, dass man damit rechnen muss, nicht immer am Ende der Etappe ein Bett zu finden – wenn man denn im Hotel oder in einer Herberge übernachten wollte. Und würde man überhaupt das Ende der geplanten Etappe erreichen? Tritt das, was man plant, eigentlich auch immer ein? Nein. Es könnte in Strömen reg­nen, der Hund schlapp machen, die Füße wehtun, das Gasthaus gar nicht mehr existieren. Oder in der angedachten Pension akzeptiert man keine Hunde. Kommt alles vor.

 

Mit einer zentralen Ferienwohnung könnten wir auch das Ende der ein­zelnen Etappen offenlassen. Nur keine dummen Durchhalteparolen. Sollten wir keine Lust mehr haben, wäre Schluss. Der Etappendurchschnitt dürfte nicht mehr als zehn Kilometer betragen. Das war das Maximum, das wir uns und Fidel zutrauten. Unterwegs würden wir auch dauernd darauf achten, wie Fidel noch drauf ist. Der kleine Pudel sollte unser Anti-Burnout-Signal sein. Solange es ihm gut ginge, könnten wir gar nicht von den zeitgenössischen Krankheiten befallen werden. So hofften wir, von den unvermeidlichen Blasen, oder von Gicht-, Heul- und Streitanfällen, verschont zu bleiben. Wir wuss­ten schon, dass Wanderpaare bezüglich der letztgenannten sehr gefährdet sind. 

 

Im Dorf Vordorf wurden wir fündig. Dort sollte also der Anfang liegen. Dann würden wir schon sehen, ob, wo und wann wir später ein neues Domizil bräuch­ten, oder ob es überhaupt weiterginge. Mehr Planung als die Buchung der Ferienwohnung in Vordorf hat es nicht gegeben.

 

Sicherheitshalber haben wir auch keinem von unserem Vorhaben erzählt. 

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»Eigentlich sollten wir ein Wandertagebuch schreiben, oder so was wie einen Reisebericht«, fand Peter. Natürlich, Schreiben gehört auch zu unseren Berufen.

»Wir können’s ja mal probieren«, antwortete ich, »wobei, das mit dem Wandern wäre ja noch einfach, aber das mit dem Jean Paul ist so eine Sache. Jeder Literaturkenner wird uns anpissen, wenn wir da was falsch machen. Ich mein’, ich muss ja auch was über den Dichter schreiben, oder?«

»Wir können ja mal gucken, was passiert und wie’s wird. Müssen tun wir gar nix.«

»Du hast ja keine Ahnung, wie die kacken können.« 

 

Man sieht’s, ich kann schnell den Mut verlieren. 

… Wohnt aber ein poetischer Geist in dir, der die Wirklichkeit umschafft –

nicht für andere auf dem Papier, sondern in deinem Herzen –,

so hast du an der Welt einen ewigen Frühling; denn du hörst unter

allen Gipfeln und Wolken Gesänge, und selber wenn das Leben rauh und

entblättert weht, von welchem du nicht weißt, woher es kommt; es entsteht aber,

wie das ähnliche in den blätter- und wärmelosen Vorfrühlingen des

äußern Wetters, von den Gesängen im Himmel. …

 

Jean Paul »Der Komet«

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